Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
weh.«
    »Wissen Sie, wie es passiert ist?«
    »Ich bin vom Fahrrad gefallen.«
    »Erinnern Sie sich daran, oder ist das etwas, was man Ihnen erzählt hat?«
    Bei meinem veränderten Ton – allzu gespannt vielleicht – zog er verwundert die Brauen zusammen. »Wieso interessiert Sie das so sehr? Jedes Kind bricht sich irgendwann mal was.«
    Ich antwortete ihm nicht, und mein Schweigen schien ihn zu irritieren.
    »Wahrscheinlich hat man's mir erzählt«, sagte er kurz. »Ich erinnere mich praktisch an nichts, was vor meinem fünften oder sechsten Lebensjahr passiert ist.«
    »Bei mir ist das genauso«, sagte ich. »Komisch, manche Leute erinnern sich ganz klar an ihre frühe Kindheit, aber ich weißüberhaupt nichts mehr. Früher glaubte ich die Geschichten, die meine Eltern mir aus dieser Zeit erzählt hatten, aber mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man etwas nur oft genug zu wiederholen braucht und schon denkt man, dass es tatsächlich so gewesen ist.« Ich schwieg und sah einem der Bildhauerlehrlinge zu, der so verbissen wie erfolglos einen kleinen Steinblock bearbeitete. »Michael hat gesagt, er kann sich nicht erinnern, Alan noch einmal gesehen zu haben, nachdem euer Vater abgehauen war«, bemerkte ich als Nächstes. »Musste er wegen Drogenhandels ins Gefängnis?«
    Bei dieser Frage schien Danny sich sicherer zu fühlen. »Genau. Es ist ja das einzige Mal, dass Alan gesessen hat. Er hat mir mal davon erzählt und gesagt, es hätte ihn total umgekrempelt.« Er bückte sich, um einen Stein vom Boden aufzuheben. »Danach ist er nicht wieder nach Hause gekommen. Ich glaube, sie hatten Angst, er hätte einen schlechten Einfluss auf uns andere... oder umgekehrt.« Er polierte den Stein mit seinem Daumenballen. »Wieder gesehen hab ich ihn das erste Mal, als ich eines Tages die Schule geschwänzt hab und in Twickenham rumgestromert bin. Natürlich hab ich ihn nicht erkannt. Ich war damals ungefähr dreizehn, und plötzlich bleibt dieser große Kerl auf der Straße vor mir stehen und sagt: Hallo, ich bin Alan, wie geht's dir denn? Er wird damals ungefähr vierundzwanzig gewesen sein«– er lachte tonlos –»und ich hatte keine Ahnung, wer er war. Ich wusste natürlich, dass ich irgendwo einen Bruder hatte, aber es war schon ein ziemlicher Schock zu erfahren, dass er keine fünf Kilometer entfernt lebte. Er sagte, er hätte mich aus der Ferne immer im Auge behalten.«
    »Haben Sie Ihrer Mutter erzählt, dass Sie ihn gesehen hatten?«
    »Um Gottes willen! Die hat sich jedes Mal wahnsinnig aufgeregt, wenn man nur seinen Namen erwähnt hat. Dann hat sie angefangen zu trinken und hat die Möbel zertrümmert. Ich hab immer gedacht, sie gäbe Al die Schuld daran, dass mein Vater gegangen ist. Aber als Al ungefähr ein Jahr später aus heiterem Himmel bei uns aufkreuzte, hat sie geheult wie ein Schlosshund und dauernd gesagt, wie sehr er ihr gefehlt hätte.«
    »Warum ist er gekommen?«
    »Um sie zu besuchen, vermute ich.«
    »Nein, ich meinte, warum erst da? Warum hat er so lange gewartet?«
    Er machte ein nachdenkliches Gesicht, als hätte er sich diese Frage nie zuvor gestellt. »Er kam, kurz nachdem Drury aus dem Dienst ausgeschieden war«, sagte er dann. »Ich erinnere mich, dass meine Mutter sagte, jetzt wär niemand mehr da, der ihn erkennen würde –« Er brach abrupt ab. »Sie meinte wahrscheinlich nur, dass jetzt niemand mehr auf ihm herumhacken würde.«
    »Hat Alan seine Mutter gern?«, fragte ich, mich Beths Bemerkung darüber erinnernd, mit welchem Widerstreben Alan seine Mutter zu besuchen pflegte.
    »Kann schon sein. Er ist jedenfalls der Einzige, der sich die Mühe macht, nach ihr zu gehen.«
    »Aber?«, hakte ich nach, als er nicht weitersprach.
    Er streckte seinen rechten Arm aus und ließ den Stein fallen, wobei er wie gebannt die Bewegung seiner Finger beobachtete. »Er hat Angst vor ihr«, sagte er brüsk. »Das ist der einzige Grund, warum er sie besucht – um sie nicht gegen sich aufzubringen.«

    Wir machten einen Spaziergang durch den Skulpturenpark, wanden uns durch enge Gassen zwischen rauen Felswänden und zwängten uns schließlich durch eine Spalte in eine Höhle, die, nach der roten Wolldecke und dem Berg leerer Dosen zu urteilen, die wir dort vorfanden, bewohnt war oder von einem Liebespärchen als geheimer Unterschlupf genutzt wurde.
    »Vielleicht sollte ich mich hier niederlassen«, sagte Danny, »und mich nachts rausstehlen, um die Steine beim Mondlicht zu

Weitere Kostenlose Bücher