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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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zu bedenken, ganz gleich, ob es um das eine oder das andere Verbrechen geht? Würde ich nicht das kleinere Übel wählen, wenn ich Annies Tod einen Unfall sein lassen würde?«
    Sie sah mich nachdenklich an. »Das kommt darauf an, wie scheinheilig Sie sein wollen«, entgegnete sie sehr direkt. »Das war vermutlich auch Sergeant Drurys Entschuldigung – und doch haben Sie zwanzig Jahre daran gesetzt, um zu beweisen, dass das von ihm nicht richtig war.«

    * * *

    Briefwechsel bezüglich des Treffens am 20. 8. 1999
    Leavenham Farm
Leavenham
Nr. Dorchester
Dorset DT2 XXY
    Alan Slater
12, Peasmont Road
Isleworth
Surrey
    Dienstag, 17. August 1999
    Lieber Alan,

Sie können mich am Freitag, den 20. August, im Haus Ihrer Mutter in der Graham Road erwarten. Ich hoffe sehr, dass ich Sie und Ihre Mutter antreffen werde, da ich sonst meine Drohung wahr machen und zur Polizei gehen werde, so schmerzhaft das für Ihre Frau, Ihre Kinder und Ihren Bruder sein wird. Ich möchte nicht versäumen, Sie wissen zu lassen, dass ich auch an Sharon Percy und Geoffrey Spalding schreiben und beide dringend auffordern werde, ebenfalls zu dem genannten Termin zu erscheinen.
    Mit freundlichen Grüßen
    M. Ranelagh

    * * *

    Von: Wendy Stanhope, The Vicarage, Chanters Lane, St. Davids, Exeter
    Mittwoch, 18. August
    Selbstverständlich kann ich am Freitag um elf Uhr dreißig zum U-Bahnhof Richmond kommen, damit wir, wie Sie sagen, gut Zeit haben, um bis Mittag in der Graham Road zu sein. Ich verstehe gar nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen, ich könnte Bedenken haben, Sie gegen die Slaters zu unterstützen. Ich bin nicht so leicht einzuschüchtern! Außerdem habe ich es stets bedauert, dass Annie mich niemals als ihre Freundin angesehen hat. Danke Ihnen, dass Sie sich an mich gewandt haben, mein Kind.
    Liebe Grüße
    Wendy

26
    Erst als wir uns der Kreuzung zur Kew Road am Rand von Richmond näherten, fragte mich Sam, ob ich mir eigentlich darüber im Klaren sei, was ich täte. Wir hatten für die Fahrt von Dorchester mehr als drei Stunden gebraucht, und er war, abgesehen von dieser oder jener Schimpfkanonade auf andere Autofahrer, die ganze Zeit bemerkenswert ruhig und zurückhaltend gewesen. Wir hatten die Taktik am Vortag bei einem Glas Wein in der Sonne besprochen, und da hatte der Plan ganz vernünftig gewirkt – vielleicht ist das mit allen Plänen so, die unter Einfluss von Alkohol besprochen werden –, aber fern der grünen, sanft gewellten Hügeln Dorsets, in den verstopften, grauen Durchgangsstraßen der Londoner Außenbezirke bekamen die Dinge ein ganz anderes Gesicht, und es erschien plötzlich gefährlich und hirnverbrannt, sich in dieser anonymen Riesenstadt mit vier gewaltbereiten Menschen anlegen zu wollen.
    Ich hätte den ganzen Plan vielleicht selbst da noch aufgegeben, wenn Sam nicht der gleichen Auffassung gewesen wäre wie Sheila. Die Dinge nähmen ihren Lauf, daran könne ich nun nichts mehr ändern, sagte er. Und es gehe hier nicht um die Frage nach dem kleineren Übel. Ich hätte die Büchse der Pandora geöffnet, und nun seien die Geheimnisse heraus. Danny und Michael würden anfangen, Fragen zu stellen – Alan, ihren Müttern, selbst Derek, wenn sie ihn finden könnten. Und es sei den Unschuldigen gegenüber nicht fair, sie mit den Schuldigen über einen Kamm zu scheren.
    Ich legte ihm liebevoll eine Hand auf den Arm, als er vor einem Rotlicht anhielt. »Danke dir«, sagte ich.
    »Wofür?«
    »Dass du dich zurückgehalten hast. Ich weiß, dass dir gar nicht wohl ist bei der Sache, aber du musst doch zugeben, dass es aus meiner Sicht vernünftiger ist, eine neutrale Person mitzunehmen und nicht einen wütenden Ehemann, von dem erwartet werden kann, dass er die Beherrschung verliert.«
    »Wir können immer noch zur Polizei gehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten das schon ein Dutzend Mal durchgespielt. »Die Polizei würde doch nichts tun – bestimmt nicht heute, wahrscheinlich nie. Die Eltern von Stephen Lawrence haben sieben Jahre gebraucht, um die Einleitung einer Untersuchung zu erwirken, da kann ich mir nicht vorstellen, dass ich nur aufs Polizeirevier Richmond zu marschieren brauche, um etwas zu erreichen.« Ich seufzte. »Das hab ich vor zwanzig Jahren versucht, mit dem Erfolg, dass ich allseits als Fall für den Psychiater abgestempelt wurde.«
    Er nickte.
    »Außerdem möchte ich diesmal wirklich die Wahrheit hören, und Wendy war der einzige Mensch, der mir eingefallen ist. Sheila ist zu

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