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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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zornig. »Mrs. Ranelagh will Ihnen helfen – wobei ich mich ernstlich frage, ob Sie das überhaupt verdienen –, aber Sie binden ihr die Hände, wenn Sie nicht den Mut aufbringen, es mit Alan und Maureen aufzunehmen.«
    »Ja, wenn's nur die beiden wären«, sagte er brummig. »Aber Derek sitzt ja auch drüben.«
    Mir war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, und Wendy, die sich plötzlich haltsuchend an den Torpfosten lehnte, schien es ähnlich zu gehen.

    Ich hätte mir die Größe von Maureens Wohnzimmer vor Augen führen sollen, ehe ich ihr Haus zum Treffpunkt erkor. Es war kaum fünfzehn Quadratmeter groß, viel zu gedrängt, um jedem von uns den Raum zu gewähren, den er brauchte. So bildeten wir denn notgedrungen zwei feindliche Blöcke, die unangenehm dicht aufeinander saßen. Die Slaters hatten sich auf dem Sofa an der Innenwand aufgereiht; Wendy, Sharon, Geoffrey und ich saßen ihnen auf steiflehnigen Stühlen vor dem Fenster gegenüber.
    Schon bei Dereks Anblick war mir übel geworden, und ich hatte Mühe, den Ekel zu unterdrücken, als seine mir saure Körperausdünstung – mehr erinnert als real, vermutete ich – in die Nase stieg. Wieso, fragte ich mich immer wieder, war ich überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, dass Maureen mich mit ihm konfrontieren würde, wo sie doch gerade das am besten konnte – andere in Angst und Schrecken versetzen. Ich wollte etwas sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus.
    »Na los, fangen Sie an«, höhnte sie. »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben, und verschwinden Sie.«
    Es war ein seltsamer Augenblick. Der Zorn und die Bitterkeit, die mich beherrscht hatten, hatten im Lauf der Jahre eine Reihe von Entwicklungen durchgemacht, die von einem wilden Verlangen zu töten über Apathie und den Wunsch zu vergessen zu dieser meiner endgültigen Position geführt hatten. Meistens schaffte ich es, mir vorzumachen, ich strebte nach Gerechtigkeit für Annie – und ich glaube, die meiste Zeit tat ich das auch. Aber hin und wieder erkannte ich doch, dass Dr. Elias und Peter Stanhope Recht hatten und meinem Handeln Rachsucht zu Grunde lag. Hätte Maureen den Mund gehalten, so wäre es mir vielleicht gelungen, mir auf immer einzureden, es ginge mir um Gerechtigkeit – aber in dem Moment, als sie sprach, durchschoss mich eine Welle glühenden Hasses, und ich war zurück am Ausgangspunkt.
    Wenn Derek dem Tode nahe war, wie Michael behauptet hatte, so war das nicht augenblicklich erkennbar. Er war magerer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und seine Hände zitterten unablässig, aber er hielt den Kopf immer noch wie ein Boxer, der seine Chance sucht, und hatte immer noch die aggressive Ausstrahlung des Analphabeten, der sich ausgeschlossen fühlt.
    Alan sah aus wie eine ältere, massigere Version seines Bruders, und ich konnte ihn nicht ansehen, ohne an Danny zu denken. Mein halbes Leben lang hatte ich ihn als hirnloses Muskelpaket gesehen; tatsächlich war er ein fahriger Mensch mit schmutzigen Fingernägeln und einem Bierbauch, der sich krampfhaft bemühte, von seinen Eltern so viel Abstand zu gewinnen, wie das auf einem dreisitzigen Sofa möglich war.
    Derek ergriff schließlich als Erster das Wort. Seine Stimme, seine Sprechweise – harte Vokale und Knacklaute – hatten sich kaum verändert und taten mir in den Ohren weh wie vor zwanzig Jahren. »Sie können dem Jungen keine Schuld geben«, nuschelte er, während er sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob und sie anzündete. »Er hat nur getan, was ich ihm gesagt habe.«
    »Ich weiß.« Ich sah zu Alans gesenktem Kopf hinunter. »Ich habe ihm nie die Schuld gegeben.«
    »Okay, dann vergessen Sie den Rest, wenn ich alles zugebe? Deswegen sind Sie doch hier, oder? Weil Sie meinen Kopf wollen.«
    »Nicht nur Ihren.«
    Seine Augen glitzerten gefährlich. »Sie haben sich das doch alles selbst zuzuschreiben«, sagte er zähneknirschend. »Sie hätten mir Drury nicht auf den Hals hetzen sollen. Sie hätten nicht behaupten sollen, dass ich das Niggerweib umgebracht hab.«
    Ich schluckte meine Wut hinunter und zwang mich, ruhig zu sprechen. »Das habe ich nicht getan«, sagte ich. »Mr. Drury bat mich damals, ihm jeden zu nennen, der meines Wissens etwas gegen Annie hatte. Da habe ich Maureen, Sharon und sie genannt. Aber nur Sie haben ihn interessiert – wahrscheinlich weil Sie wegen grober Körperverletzung vorbestraft waren –, und er fragte mich, was ich über Sie wüsste. Ich sagte ihm, Sie

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