Schlangenlinien
konservativ, sie würde niemals etwas tun, was gegen die Regeln verstößt – und Larry hätte sie sowieso nicht mitkommen lassen.«
»Hätte er sie denn aufhalten können?«, fragte Sam überrascht.
»Sie hätte darauf bestanden«, sagte ich zynisch. »Sie benutzt ihn als Bremser, wenn ihr ihr eigenes Engagement zu lästig wird.« Ich erinnerte mich an Sheilas entsetztes Gesicht, als ich sie aufgefordert hatte, mit mir zusammen die Slaters zu stellen.
»Um Gottes willen, das ist unmöglich! Larry würde das niemals zulassen!« Und ich hatte geglaubt, eine bessere Mitstreiterin als Annies Ärztin könnte ich nicht finden. So sehr konnte man sich täuschen! Wenn ich meinen Verstand gebraucht hätte, wäre mir ihre Passivität gleich aufgefallen, als sie mir erzählt hatte, dass sie den Kampf für Annies Rechte schon beim ersten Unmutszeichen von Larry aufgegeben hatte. Aber ihr einfühlender Bericht über Annie an den Coroner und ihre energische Zurückweisung der Vorwürfe der Pflichtversäumnis hatten mich geblendet. Das wirklich Ironische war natürlich, dass es gar nicht nötig gewesen wäre, meine Mutter durch unseren Umzug nach Dorchester zu verärgern, wenn ich im Voraus gewusst hätte, dass eine exzentrische Pfarrersfrau in Devon weit mehr Courage und Kampfgeist besaß, als von Sheila Arnold je zu erwarten war.
»Und abgesehen von meiner Mutter«, fügte ich hinzu, »wusste ich niemanden außer Wendy, der den Mut gehabt hätte, mich zu begleiten.«
Sam lachte amüsiert. »Hab ich richtig gehört? Du hast im Ernst erwogen, deine Mutter zu bitten? Ist das ein Fortschritt – oder was?«
»Ja, sie war die Erste, die mir in den Sinn kam«, gestand ich mit einem schiefen Lächeln. »Aber mir wurde sofort klar, dass sie der ganzen Bande ihre Handtasche um die Ohren schlagen würde und dass ich am Ende schlechter dastehen würde als am Anfang.« Ich schüttelte beinahe verwundert den Kopf. »Aber merkwürdig ist es schon – vielleicht stimmt es ja, dass Blut dicker ist als Wasser.«
Je näher wir dem U-Bahnhof kamen, desto ernster wurde er. »Das solltest du auf jeden Fall im Kopf behalten, wenn du mit Alan Slater sprichst«, riet er. »Wenn er nicht ein kompletter Idiot ist, muss ihm klar sein, dass er seinen Kindern ihre Ahnungslosigkeit am ehesten erhalten kann, wenn er zu seiner Mutter steht...«
Wir waren fünfzehn Minuten zu früh, aber ich lehnte Sams Angebot ab, mit mir zusammen auf Wendys Ankunft zu warten. Ich fürchtete, er würde aus allen Wolken fallen, wenn er sie sähe – eine hagere Alte, nicht die mächtige Walküre, die er sich wahrscheinlich vorgestellt hatte –, und er würde daraufhin das ganze Unternehmen in letzter Minute zum Scheitern bringen. Tatsächlich sah meine Begleiterin noch übler aus, als ich befürchtet hatte. Wendy war erschöpft nach dem frühen Aufbruch von zu Hause und der langen Bahnfahrt und hatte hier, fern der Geborgenheit ihres Pfarrhauses, nichts gemein mit dem beeindruckenden Raubvogel, an den sie mich bei unserer ersten Begegnung erinnert hatte. Sie wirkte eher gebrechlich wie eine Gespenstheuschrecke.
Meinem Winken folgend, eilte sie zwischen Taxis hindurch über den Vorplatz und sagte, als sie mich erreicht hatte, lachend: »Du meine Güte, sehe ich so schlimm aus?«
»Aber nein«, log ich und umarmte sie zur Begrüßung, »ich frage mich nur, ob Sie das wirklich durchziehen wollen. Die sind immerhin zu viert und wir nur zu zweit«, warnte ich, »und das könnte ziemlich ungemütlich werden.«
Sie nickte. »Ich weiß. Sie haben mir das alles schon neulich am Telefon klar gemacht. Aber vergessen Sie nicht, dass ich insofern im Vorteil bin, als ich einige ihrer Geheimnisse kenne«– sie lachte glucksend –, »wenn also alle Stricke reißen, müsste ich sie eigentlich mit einer kleinen Indiskretion dazu bringen, dass sie sich wenigstens aus Scham halbwegs anständig benehmen.«
Oder dass sie noch wütender werden, dachte ich gar nicht beruhigt und sagte lahm: »Na ja, es erscheint jetzt nur alles viel realer.«
Sie nahm mich beim Arm und drehte mich energisch in Richtung zur Graham Road. »Wenn Sie jemanden hätten dabei haben wollen, der ihnen das Fell gerbt, hätten Sie Ihren Mann und Ihre Söhne gebeten mitzukommen«, sagte sie. »Stattdessen haben Sie mich aufgefordert. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Sie nicht enttäuschen werde – kann gut sein, dass ich beim ersten harten Wort in die Knie gehe –, aber es fällt mir nicht ein
Weitere Kostenlose Bücher