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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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machen; meine Mutter kannte solche Zurückhaltung nicht und erklärte mir sofort, es wundere sie überhaupt nicht, dass diese alberne Person die Gewohnheit habe, sich auf Felsspitzen zu stellen und ihren Frust herauszuschreien. Wieso nicht?, fragte ich. Weil sie unfähig sei, mit Leuten ihres eigenen Alters zurecht zu kommen, lautete die bissige Erwiderung.
    Einer der Gründe, warum es Wendy so häufig in unsere Gegend verschlug, waren ihre Besuche zuerst bei Michael im Gefängnis und dann bei Bridget, die in Bournemouth lebte. Das erste Mal unternahmen Wendy und ich die Rundfahrt zusammen, danach fuhr sie allein, und ich besuchte Michael in den Zwischenzeiten. Einmal fragte ich ihn, ob er glaubte, Wendy wolle ihn immer noch adoptieren. Er lachte und sagte, dieser Tage halte sie ihm nur Gardinenpredigten; sie habe ihre Zuneigung auf Bridget verlagert und benehme sich, als wäre sie seine Schwiegermutter. Ob das gut oder schlecht sei? Gut, antwortete er mir. Er werde seine Frau in Zukunft nicht so leicht enttäuschen, wenn er ständig einen Feuer speienden Drachen im Nacken wisse. Mit einer gewissen Wehmut fügte er hinzu, es sei schade, dass Mrs. Stanhope sich nicht viel früher von dieser Seite gezeigt habe. Und mich hatte er bei dieser Bemerkung sicher auch im Sinn.
    Ich fragte mich immer wieder, warum ausgerechnet der intelligentere Schüler von einst heute so hart mit sich rang und sich so viele Gedanken darüber machte, wie er sein Leben in den Griff bekommen könnte, während es Alan, dem Neandertaler, tatsächlich gelungen war, ein ordentliches Leben zu führen. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass Sam Recht hatte – eine willensstarke Frau ist das Beste, was einem Mann passieren kann.

    Mitte September erhielt ich einen zornigen Brief von Beth Slater. Ich hatte ihr zuvor geschrieben und ihr zu erklären versucht, wie tief ich mich Annies Sache verpflichtet fühlte und warum es unmöglich war, Alan aus allem herauszuhalten. Aber davon wollte sie nichts hören, und ihr Zorn machte mich traurig. Sie hasse Leute, die das eine sagten und das andere täten; sie habe eine Stinkwut auf die Polizei, die ihr ganzes Haus ausgeräumt und sogar die Sachen mitgenommen habe, die Alan nachweislich von seinem Geld gekauft hatte. Sie hasse Derek, der ein Schwein sei; und sie hasse Maureen, die ein Miststück sei. Ob es denn ein Wunder sei, dass Alan auf die schiefe Bahn geraten war, nachdem er als Kind derartig misshandelt worden war? Für das, was ich getan hatte, gebe es keine Entschuldigung. Ob mir nicht klar sei, dass ich nicht nur Alans Leben zerstört hätte, sondern auch Dannys!
    Zum Schluss schrieb sie, sie wolle nie wieder von mir hören. Ich blieb jedoch optimistisch, da ich die heilende Kraft der Zeit kenne – und weil ich sicher war, dass sie wusste, wie sehr ich sie bewunderte.
    Zu meiner Erleichterung kreuzte Ende Oktober Danny auf wie der verlorene Sohn. Er war total verkatert, reizbar und mürrisch, legte sofort strenge Vorschriften bezüglich seiner Privatsphäre fest und erklärte mit Nachdruck, innerhalb seiner eigenen vier Wände wolle er tun und lassen können, was ihm beliebe. Zum Beispiel?, erkundigte sich Sam. Zum Beispiel Ruhe haben – hin und wieder einen Joint rauchen. Er brauchte dringend Ruhe und Frieden, um sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, und das zumindest schuldeten wir ihm dafür, dass wir sämtliche Mitglieder seiner Familie aufeinander gehetzt hatten wie die wilden Tiere.
    Sam war wohl so erleichtert wie ich und trieb ihn in die Enge. Und was, fragte er scharf, ist mit dem Leben meiner Frau? Ob Danny nicht der Meinung sei, dass seine Familie
mir
etwas schulde für das, was sein Vater und sein Bruder mir angetan hatten? Danny antwortete mit Spott. Was denn die Slaters einer Frau wie mir schon zu geben hätten? Was zum Teufel! Ich gehörte doch einer ganz anderen Klasse an. Darum sei er auch gekommen. Weil er überzeugt sei, dass ich ihm einiges beibringen könne – zum Beispiel über verinnerlichten Schmerz – und dass er dies künstlerisch umsetzen wolle.
    Sheila Arnold und ich blieben befreundet, aber auf Distanz. Bei zufälligen Begegnungen begrüßten wir einander herzlich, waren uns dabei jedoch immer im Klaren, dass wir wenig gemeinsam hatten. Letztendlich war mir unbeherrschtes Frustgebrüll auf Felshöhen lieber als die langweilige Eleganz zueinander passender Panamahüte. Etwas widerwillig erlaubte sie mir, Teile ihrer Korrespondenz in Pressemitteilungen zu

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