Schlangenlinien
vorsichtiger sein müssen. Danach habe ich immer darauf geachtet, dass alles weggesperrt war, wenn sie ins Haus kamen.«
Ich hätte gern gewusst, wie oft Alan sonst noch ungestraft davongekommen war. »Mich wollte er auch bestehlen«, sagte ich. »Ich hatte meine Tasche auf dem Pult gelassen, während ich ins Lehrerzimmer ging, um etwas zu holen. Als ich zurückkam, war er an meiner Brieftasche. Ich habe ihn auch nicht angezeigt.« Ich tippte mir mit dem Finger auf die Lippen, als könnte ich so den aufsteigenden Hass niederhalten. »Meinen eigenen Kindern hätte ich so etwas nie durchgehen lassen.«
»Nein«, sagte sie und sah mich nachdenklich an, »aber ich vermute, Sie mochten Alan nicht, und weil Sie sich das übel nahmen, meinten Sie, nachsichtig sein zu müssen.«
Ich gab keine Antwort.
»Ich hatte vergessen, dass Sie Lehrerin waren«, sagte sie, um das Schweigen zu brechen.
Ich nickte und neigte mich tiefer, um Derek Slaters Gesicht genauer zu mustern. Er hatte langes dunkles Haar und ein freundliches Gesicht, nichts von einem Schläger. »Warum war Derek im Gefängnis?«
»Ich habe keine Ahnung. Diebstahl vielleicht. Oder Körperverletzung?«
»Hat er seine Frau geschlagen?«
»Natürlich schlug er nur eine Frau. Ich glaube nicht, dass er den Mut hatte, sich mit Männern anzulegen.«
»Wer ist das?« Ich wies auf das Foto einer stark geschminkten Blondine, die unter einem breitkrempigen Hut hervor affektiert in die Kamera lächelte.
»Sharon Percy.« Wendy verzog den Mund. »Sie war an die vierzig, aber sie lief herum, als wäre sie noch keine zwanzig; Miniröckchen und Ausschnitte, dass der halbe Busen heraushing. Sie müssen sich an sie erinnern. Sie war Annies Nachbarin auf der anderen Seite und hat sich ständig über sie beschwert.« Wendy seufzte tief. »Annie konnte einem schon Leid tun, so eingequetscht zwischen den beiden übelsten Familien in der ganzen Straße – hier die Slaters, Diebe und Gewalttäter, und dort eine abgetakelte Nutte, die mit ihrem Sohn nicht fertig wurde.«
Sharon Percy – Jocks Flittchen und Libbys platinblonder Vampir, dachte ich erheitert. »Nein, ich glaube, ich habe sie nie gesehen. Jedenfalls erinnere ich mich nicht an sie. Aber ihren Sohn habe ich unterrichtet – er ging in eine Klasse mit Alan Slater.«
Geoffrey Spalding bei der Beerdigung seiner Frau, vor der Markuskirche, Sommer 1982
Sharon Percy bei einer Hochzeit in der Markuskirche, Frühjahr 1983
»Sie war eine entsetzliche Person«, erklärte Wendy mit Nachdruck, »kaum besser als eine Prostituierte. Jeden Abend hatte sie andere Männer bei sich. Trotzdem fühlte sie sich jeder Schwarzen überlegen und hat Annie mit ihren ewigen Beschwerden beim Gemeinderat das Leben zur Hölle gemacht.«
Ich betrachtete das auf jung gemachte alte Gesicht mit Interesse und musste an die so genannten »rednecks«, die Unterschicht-Weißen in Südafrika, denken. »Je tiefer man in der Hackordnung steht, desto wichtiger ist es, noch jemanden unter sich zu haben.«
»Hm, das trifft auf Sharon genau zu.«
Sehr christlich hörte sich das nicht an, und ich hätte gern gewusst, was die Frau getan hatte, um Wendy so sehr gegen sich aufzubringen. »Woher wissen Sie so viel über sie?«, fragte ich neugierig. »Kam sie regelmäßig zur Kirche?«
»O ja. Jeden Sonntag pünktlich wie die Uhr, solange mein Mann bereit war, sich einmal in der Woche mit ihr zusammenzusetzen, damit sie ihre Probleme bei ihm abladen konnte. Ha!« Sie lachte verächtlich. »Alles nur ein Vorwand, wenn Sie mich fragen. Sie hat ihn immer
Pater
Stanhope genannt, weil sie wusste, das würde seiner Eitelkeit schmeicheln. Erst als sie anfing, ihm die Knie zu tätscheln, ging ihm auf, was sie wollte, und er sagte ihr klipp und klar, dass er in Zukunft nur noch in meinem Beisein mit ihr sprechen würde. Danach hat sie sich nie wieder in der Kirche blicken lassen.«
Ich unterdrückte ein Lächeln. So frustriert sie in ihrer Ehe angeblich war, sie konnte immer noch eifersüchtig sein. »War die Frau je verheiratet?«
»Nein, jedenfalls nicht, solange wir mit ihr zu tun hatten. Ich könnte nicht einmal sagen, wer Michaels Vater war. Sharon selbst wahrscheinlich auch nicht. Der arme Junge geriet ständig mit der Polizei in Konflikt, und dann wurde mein Mann mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, um an Eltern Statt zu erscheinen, weil die Mutter sich irgendwo herumtrieb.«
»Der Junge ist 1978 vierzehn geworden«, erinnerte ich mich. »Dunkelhaarig,
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