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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Stühlen, Dr. Elias. Ich bin ein Feigling, wenn ich klein beigebe, und eine neurotische Ziege, wenn ich mich wehre.«
    Abschließend ist zu sagen, dass ich bei der Patientin keinerlei Anzeichen einer Depression feststellen kann. Sie ist zwanghaft und äußerst manipulativ, aber sie hat sich gut im Griff. Ich fand sie ziemlich Furcht einflößend...

6
    Letztendlich wechselte ich keine zwanzig Worte mit Peter Stanhope. Er kam ungefähr eine halbe Stunde später, gehetzt und voll der Entschuldigungen für die Verspätung, und wurde mir gleich wieder durch einen Anruf entführt. Unter neuerlichen Entschuldigungen verschwand er in seinem Arbeitszimmer, während seine Frau den Anrufer mit Höflichkeitsfloskeln hinhielt, bis er drüben abhob. Es war nicht weiter schlimm. Wendy entpuppte sich als eine Goldgrube an Informationen, und sie konnte mir Geschichten erzählen, die ich von ihrem Mann bestimmt nie gehört hätte; das meiste war nämlich Klatsch; einiges davon recht deftig.
    Während wir auf Peter Stanhopes Rückkehr gewartet hatten, waren wir ins Wohnzimmer hinübergegangen, wo Wendy mir meinen kleinen, nur über einer Schulter hängenden Rucksack abnehmen wollte, der mit einem Riemen quer über die Brust festgemacht war. Es erstaunte sie, wie schwer er war und wie ungern ich mich von ihm trennte. Immerhin ließ ich mich dazu herab, die Schnalle des Schulterriemens zu öffnen und das gute Stück neben mich aufs Sofa zu legen. Wenn sie darüber verwundert war, dass ich meinte, mit so schwerem Gepäck reisen zu müssen, verlor sie kein Wort darüber. Ich war ihr offensichtlich ein Rätsel und entsprach sicher gar nicht ihrem Bild von einer fanatischen Kreuzzüglerin.
    Mit einer kleinen Grimasse legte sie den Hörer auf, und ich fragte mich, wie oft sie diejenige war, die hier die Stellung halten musste, und wie es ihrem Mann schmecken würde, wenn die Rollen vertauscht wären, sie die Pfarrerin und er die Hilfskraft wäre.
    Mein Gesicht hatte offenbar mehr verraten, als ich wollte. »Hat er Sie enttäuscht?«, fragte Wendy in die Stille hinein.
    »Nein, gar nicht«, versicherte ich. »Ich wollte über Annies Nachbarn in der Graham Road sprechen, und ich glaube, Sie wissen sowieso mehr als er über diese Leute.«
    Sie fixierte mich mit ihrem scharfen Blick. »Ich meinte, in der Vergangenheit«, erklärte sie. »Hat er Sie einmal enttäuscht?«
    »In gewisser Weise, ja«, antwortete ich und blickte im Zimmer umher, um sie nicht ansehen zu müssen. »Er erklärte mich für hysterisch, als ich das nicht war.«
    Wendy sammelte anscheinend Porzellanfiguren, jedenfalls standen sie auf jeder verfügbaren Fläche im Zimmer herum – ein Sortiment weißer Meißner Püppchen auf dem Kaminsims, eine Schar handbemalter Vögelchen in einer kleinen Glasvitrine an der Wand. Daneben schien sie ein Faible für die Fotografie zu haben –überall waren Bilder von ihrer Familie, und an der Wand hing eine Riesenvergrößerung eines Schnappschusses von sieben lachenden Kindern.
    »Wer sind die Kinder?«, fragte ich mit einer Kopfbewegung zu dem Foto.
    Sie akzeptierte den Themawechsel mit Gelassenheit. »Meine Enkel. Das war einer der seltenen Momente, wo sie alle zur gleichen Zeit vergnügte Gesichter machten. Im Allgemeinen kann man sich darauf verlassen, dass einer von ihnen brummt.«
    »Wer hat das Bild gemacht?«
    »Ich.«
    »Es ist umwerfend«, sagte ich aufrichtig. »Vergessen Sie die Pfarrerin, Sie hätten Fotografin werden sollen.«
    »Eine Zeit lang war ich das – gewissermaßen nebenberuflich. Ich habe bei den Hochzeiten in der Markuskirche fotografiert, vor allem für solche Paare, die nicht viel Geld ausgeben konnten.« Sie zog die Schublade eines Schreibtischs neben dem offenen Kamin auf und holte ein dickes Fotoalbum heraus. »Ich könnte mir denken, dass Sie das hier interessiert. Da haben Sie Aufnahmen von fast allen Nachbarn Annies.«
    Sie reichte mir das Album, und ich verfolgte blätternd eine fotografische Geschichte von Hochzeiten, Taufen, Begräbnissen und Festgottesdiensten in der Markuskirche. Bei den Bildern aus den Siebzigerjahren musste ich lachen. Diese Mode! Die Männer in Hosen mit Schlag, gerüschten Hemden und Armkettchen: die Frauen mit Riesenfrisuren auf den Köpfen, Kleidern in A-Linie und Plateauschuhen mit Knöchelriemchen. Sogar von mir war ein Bild da; es zeigte mich bei Annies Beerdigung, vierundzwanzig Jahre alt und furchtbar gehemmt in einem schwarzen Maximantel, der mir nicht richtig gepasst

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