SCHLANGENWALD
ein Vierteljahrhundert vergangen, und die Wahrscheinlichkeit, nach so langer Zeit noch Licht in diese Angelegenheit zu bringen, war gleich null. Darum habe ich damals beschlossen, zumindest seinen Kampf gegen die modernen Landnehmer fortzusetzen. Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, nicht besonders erfolgreich zu sein.“
„Hör zu“, murmelte Paula. „Ich werde versuchen mit Blanco Kontakt aufzunehmen.“
„Aber Kandin lässt dich doch ständig überwachen.“
Es knackte im Gebüsch. Paula zuckte zusammen. „Wer ist da?“, rief sie in die Dunkelheit, aber nichts regte sich.
„Wird wohl nur eine Ratte gewesen sein“, beruhigte sie sich selbst und kicherte. „Was Blanco anbelangt, habe ich eine Idee …“
Achtzehn
Donnerstag
1.
Kurz vor sieben Uhr traf der Touristenbus vor dem Eingang von Tico World ein. Die Klimaanlage funktionierte – anders als bei den Bussen, mit denen sie bisher gefahren war – einwandfrei. Im Inneren des Wagens war es so kühl, dass Paula in ihren Pullover schlüpfte und die Kapuze über den Kopf zog. Den anderen Fahrgästen schien das Wechselbad der Temperaturen nichts auszumachen.
Paula hatte Kandins Informationsbroschüre gut studiert: Um den Nationalpark Barra Honda zu erreichen, mussten sie südlich nach Nicoya, in den Hauptort der Halbinsel, fahren. Er lag nur ungefähr fünfundzwanzig Kilometer von Santa Cruz entfernt, wie Paula der Landkarte entnommen hatte. Bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, stand die Besichtigung des Nationalparks Barra Honda auf dem Programm. Rund 2.300 Hektar war er groß und das Besondere waren die zahlreichen Tropfsteinhöhlen, die sich in dem Kalksteingebirge befanden. Nachdem der Reiseleiter die Eintrittskarten gelöst hatte, gesellte sich ein junger Mann zu der kleinen Gruppe und stellte sich als ihr Führer vor. Er sei Amerikaner und persönlich an der Erforschung der Höhlen beteiligt gewesen, erzählte er. Die meisten der Höhlen verliefen vertikal und dort konnte der Abstieg nur über Strickleitern mit Seilsicherung erfolgen. Nur wenige Höhlen, wie die Cuevita, verliefen horizontal und durften ohne spezielle Ausrüstung besucht werden. Über Waldwege erreichten sie die Höhlen, in denen bizarre Stalaktiten und Stalagmiten zu sehen waren, die sich inMillionen von Jahren gebildet hatten. Als sie von der Führung zurückkehrten, war es fast zwei Uhr nachmittags und Paula blieb nicht mehr viel Zeit, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Das Restaurant, in dem ihr Mittagessen auf sie wartete – wenig überraschend: Reis, Bohnen, diesmal mit Rindfleisch –, war ein maroder Steinbau, von dessen Fassade die ehemals weiße Farbe abblätterte. Der Reiseleiter wurde laut johlend von einigen Männern im Schankraum empfangen und gesellte sich zu ihnen, während die Reisegruppe an den einzigen gedeckten Tisch gelotst wurde.
Paula überlegte, ob sie gleich hier die Gruppe verlassen und mit einem Taxi nach Santa Cruz fahren sollte, aber die Gegend war ihr zu abgeschieden. Nach dem Essen ging sie zum Reiseleiter und lud ihn auf ein Getränk ein. Sie fragte ihn, ob es möglich wäre, in Santa Cruz eine Stunde Pause für eine Besichtigungstour einzuplanen. Der Mann zierte sich und jammerte etwas von Zeitproblemen, fixen Tourplänen und zusätzlichen Benzinkosten. Paula legte ihm kommentarlos fünfzig Dollar auf den Tisch. Daraufhin grinste er sie an und versprach, den Aufenthalt für eine Stadtbesichtigung einzuplanen.
2.
Der Reiseleiter hatte die Situation souverän gelöst und den anderen Reiseteilnehmern einen Stadtbummel in Santa Cruz schmackhaft gemacht. Sie vereinbarten, sich nach einer Stunde wieder auf dem Parkplatz zu treffen.
Paula machte sich sofort auf den Weg ins Stadtzentrum, wo Blancos Redaktion gewesen war. Sie wusste von Ricarda, dass der Journalist nur wenige Straßen davon entfernt Unterschlupf gefunden hatte. Bald hatte sie wieder den Platz erreicht, wo sie das letzte Mal aus dem Bus gestiegen war. Ricarda hatte ihr aufgezeichnet, wie sie von hier aus zu Blanco finden würde.
Der Weg führte sie auch an der ehemaligen Redaktion vorbei oder besser an dem, was von dieser noch übrig war. Das Gebäude war bis auf die verrußten Ziegelwände völlig ausgebrannt und auch die Nachbargebäude waren beschädigt worden. Paula eilte an der Ruine vorbei und erreichte bald darauf das Haus, in dem sich Blancos Unterkunft befinden sollte. Es war ein zweistöckiger, schlichter Bau mit einem hübschen, kleinen Balkon
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