SCHLANGENWALD
unfreiwilligen Reis-Bohnen-Diät. Der Pazifik glitzerte im Sonnenschein, und der blaue Himmel vermittelte den Eindruck, als ob die Welt in Ordnung wäre.
Doch weil das nicht so war, rief Paula in der Pension Pueblo Sánchez an, um Sally zu erreichen. Die beiden Amerikaner befanden sich bereits auf einer Exkursion zum Nationalpark Palo Verde und würden laut Auskunft der gesprächsfreudigen Frau am anderen Ende der Telefonleitung nicht vor Abend zurückkehren. Dort gäbe es wunderschöne Wasservögel, Scharen von Reihern und Störchen, geriet die Frau ins Schwärmen, bis Paula sie unterbrach und fragte, ob noch ein Zimmer in der Pension frei sei.
„Ja, eines habe ich noch. Heute ist ein Paar aus Frankreich abgereist, ganz nette Leute, aber leider ist die Frau …“
„Gut, dann reservieren Sie das Zimmer bitte für mich“, unterbrach Paula den Wortschwall erneut. „Ich komme gegen sechs bei Ihnen an. Mein Name ist Ender, Paula Ender.“
„ Sí , sehr gut. Ich freue mich schon, Señora Ender, es ist ein sehr schönes Zimmer“, antwortete die Frau freundlich.
Als Nächstes versuchte Paula, Markus zu erreichen. Nun, da sie die Anlage ohnehin verließ, war es ihr egal, ob das Telefon abgehört wurde oder nicht. Sie ließ es acht, neun, zehn Mal klingeln. Aber niemand hob ab. Weder bei ihm zu Hause nocham Handy. Sie versuchte es nochmals, aber Markus war nicht zu erreichen. Gerade jetzt, wo Kandin sie aus der Ferienanlage geworfen hatte, Ricarda verschwunden war und Juan Blanco sich zwar in unmittelbarer Umgebung befand, für sie aber unauffindbar blieb, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie mit ihm Kontakt aufnehmen konnte.
Paula ging zurück zum Tisch. Als Emilio zu ihr kam, um das Geschirr abzuräumen, sprach Paula ihn auf Ricardas Abreise an. Der Wirt sah sie verdutzt an. „Ricarda war gestern Nachmittag hier. Aber sie hat mir nichts erzählt. Vielleicht wurde sie von Kandin hinausgeschmissen, nach dem Streit, den die beiden hatten.“
„Was für ein Streit?“ Paula wurde hellhörig.
„Gestern saßen sie hier und haben miteinander gesprochen. Plötzlich hat er sie angebrüllt, dass er sich das nicht von einer kleinen Indianerin gefallen lasse. Sie wisse wohl nicht, mit wem sie es zu tun habe. Aber er hat sich gleich darauf wieder beruhigt und die beiden haben dann gemeinsam das Lokal verlassen. Es sah eigentlich so aus, als ob sie den Streit beigelegt hätten. Irgendwie finde ich es schade, dass Ricarda das Camp verlassen hat, noch dazu ohne sich von mir zu verabschieden.“ Emilio schüttelte den Kopf.
„Dass du mir nicht auch ohne Abschied nach Österreich zurückfährst“, drohte er Paula mit dem Zeigefinger.
„Tja Emilio, dann verabschiede ich mich lieber gleich von dir, denn ich weiß nicht, ob ich nachher noch Zeit dazu haben werde. Herr Kandin schickt mich heute Nachmittag nach Hause und damit sitze ich zum letzten Mal auf deiner wunderschönen Terrasse.“
„Wie? Das ist ein Scherz, nicht wahr?“, er zwinkerte ihr zu.
„Nein, leider nicht“, bedauerte Paula.
„Sag, was ist plötzlich los mit diesem Mann? Der Einzige, mit dem er noch keinen Streit hatte, ist Manuel. Du weißt schon,der Bursche, den seine Frau jeden Tag so oft anruft. Wenn Kandin und er zusammensitzen, dann stecken sie ihre Köpfe zusammen und der Gesprächsstoff will ihnen nicht ausgehen.“
„Ist das der junge Mann, der in der Müllkompostieranlage arbeitet?“
„Ja, diese Zaubermaschine, die von euren österreichischen Superhirnen ausgetüftelt worden ist und von der keiner weiß, wie sie wirklich funktioniert.“ Er lachte. „Aber ich bin ja nur ein Wirt, da muss ich so was nicht verstehen. Manuel ist Kandin sehr verbunden. Sein Schwager hat ein Restaurant, das er ebenfalls mit dessen finanzieller Unterstützung ausbaut. Dorthin können die Gäste der Ferienanlage einen Ausflug machen, um das traditionelle Costa Rica kennenzulernen. Sie haben da lauter folkloristische Touristenattraktionen vorgesehen. Jedenfalls lebt die ganze Familie sehr gut von Kandin. Aber mir soll es recht sein. Er ist keine Konkurrenz für mich, weil in meinem Restaurant ohnehin mehr zu tun sein wird, als mir lieb ist.“
Emilio erzählte ihr dann, dass er eine kleine Pension in Montezuma betrieben hatte, als er Kandin vor ungefähr zwei Jahren kennenlernte. Der reiste damals durchs Land, um den idealen Platz für eine Ferienanlage zu finden. Kandin habe ihn damals gefragt, ob er Interesse daran hätte, ein Restaurant zu leiten, und
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