Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
nichts geschehen. »Ich will dir nicht wehtun, Mom, ich will dir nur helfen. Der Kerl wartet doch nur darauf, bis du deine Rente kriegst, und dein Rattenloch von einem Haus will er gleich mit. Er liebt dich nicht, Mom, aber ich tue es.«
Es klopfte an der Tür.
»Lass mich das machen.«
»Wenn du ihn reinlässt, siehst du mich nie wieder.«
Die Mutter fasste Hayley an die Stirn und strich ihr mit einer sanften Bewegung die Haare aus dem Gesicht. Dann sah sie ihrer Tochter tief in die Augen, als wollte sie sich einprägen, wie das Mädchen aussah. Es war, als sei dies wirklich das letzte Mal, dass sie sich gegenüberstanden.
Hayley hegte keinen Groll gegen ihre Mutter, sondern empfand eine Mischung aus Mitleid, tiefster Verzweiflung und Enttäuschung. Manche Menschen waren nun mal anfälliger für Alkohol- und Drogenmissbrauch. Die Ursachen dafür waren genetische Veranlagung, Familienhintergrund und Lebenssituation. Früher hatte HayleySchmerz, Wut und Scham empfunden, aber jetzt nicht mehr. Nur das Gefühl der Hoffnungslosigkeit wurde sie nicht los.
Es klopfte wieder an der Tür, diesmal lauter.
»Zwing mich nicht, eine Entscheidung zu treffen, Hayley.«
Hayley beugte sich vor und gab ihrer Mutter einen sanften Kuss auf die Wange. »Du hast deine Entscheidung bereits vor langer Zeit getroffen, Mom.«
Hayley drehte sich um und ging auf den Hinterausgang zu, um Brian auf gar keinen Fall über den Weg zu laufen. Sie würde ihn ohnehin früh genug wiedersehen.
Kapitel 5
Keine kühle Brise
Es war mal wieder einer dieser glühend heißen Tage, typisch für Sommer in Sacramento. Lizzy hatte vor einer Stunde in ein Paar kaki Shorts und ein helles Oberteil gewechselt, aber trotz der leichten Bekleidung und des Ventilators an der Decke lief ihr der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter. Sie jammerte jedoch nicht – ein heißer Sommer war immer noch besser als ein eiskalter Winter.
Jessica Pleiss, eine der beiden Teilzeit-Assistentinnen, kam zur Tür herein und brachte einen Schwall heiße, trockene Luft mit. Eigentlich konnte Lizzy sich kein Personal leisten, aber ohne Hilfe ging es nicht.
»Ah, schön, dass du da bist«, sagte sie, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.
Jessica lachte. »Ich komme doch jeden Mittwoch um diese Zeit.«
Lizzy sah auf die Uhr. Es war drei Uhr nachmittags. »Ach ja, stimmt. Tut mir leid. Im Augenblick wächst mir die Arbeit über den Kopf.«
Jessica ging um Lizzys Schreibtisch herum und blickte auf ihren Computermonitor. »Wer ist das denn?«
»Anthony Melbourne. Ein Fitnessguru und Motivationstrainer. Hast du schon von ihm gehört?«
»Nein, aber wenn ich mir diesen Waschbrettbauch angucke, würde ich am liebsten ein paar Runden im Park joggen gehen.«
Lizzy lächelte. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal in einem Fitnessstudio war.«
»Was ist mit dem Typen?«
»Sieht so aus, als hätten wir einen neuen Vermisstenfall.«
»Anthony Melbourne wird vermisst?«
»Nein.« Lizzy gab Jessica die Ringbuchmappe. »Andrea Kramer hat uns beauftragt, ihre Schwester Diane zu suchen. Sie glaubt, Anthony Melbourne hätte etwas mit ihrem Verschwinden zu tun. Ich bin mir da noch nicht sicher, aber das spielt keine Rolle. Andrea will, dass ich Melbourne observiere.«
»Hast du nicht gesagt, du hättest im Augenblick zu viel Arbeit, um einen neuen Fall anzunehmen?«
»Das ist richtig.«
»Du hast dich weichklopfen lassen.«
»Hab ich nicht«, log Lizzy. Im Alter von siebzehn Jahren war sie von Samuel Jones entführt worden, einem Irren, der unter dem Namen »Der Spinnenmann« bekannt wurde. Zwei Monate lang musste sie zusehen, wie er seine Opfer folterte, bevor ihr schließlich die Flucht gelang. Aber zu welchem Preis? Über ein Jahrzehnt hatte sie in ständiger Angst gelebt, bis ihr damaliger Entführer plötzlich wieder in ihr Leben trat und ein für alle Mal zu Ende bringen wollte, was er begonnen hatte. Dabei tötete er eine lokale Nachrichtenmoderatorin und ein junges Mädchen aus Lizzys Selbstverteidigungskurs. Er hatte das Fliegengitter an ihrem Fenster durchtrennt und sie im Schlaf überrascht. Das arme Mädchen hatte keine Chance.
Aber Samuel Jones lebte nicht mehr und alle – einschließlich Lizzys Therapeutin – waren der Meinung, sie müsse langsam die Vergangenheit hinter sich lassen und mit ihrem Leben weitermachen. Aber so einfach war das nicht. Nichts wünschte sich Lizzymehr, als endlich ein normales
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