Schlecht aufgelegt (German Edition)
antut.»
«Wer? Ich?», antwortete Kuli entsetzt. «Also, das trifft mich jetzt schon. Herr Junghans, jetzt mal ehrlich. Gucken Sie mich an – sehe ich aus wie einer, der einem etwas antut?»
«Nein», sagte Hagen Junghans und blickte zur Uhr.
«Das kann man den wenigsten Leuten ansehen», winkte Paul ab. «Die, die so gefährlich aussehen, die brechen einem vielleicht mal einen Arm oder die Beine oder die Nase, aber viel gefährlicher sind die, denen man das eigentlich gar nicht zutraut. Die sich das vielleicht selbst nicht zutrauen und dann plötzlich explodieren. Einfach so.» Paul blickte dem Therapeuten direkt ins Gesicht. «Und dann ist alles zu spät, und man hat etwas getan, was man nie für möglich gehalten hätte. Und das nur, weil man nicht loslassen konnte, weil man Liebe mit Besitz verwechselt hat», sagte er.
Der Therapeut hob den Arm. «Das reicht», sagte er. Er stand auf und ging zum Fenster.
Paul und Kuli warteten gespannt. Paul dachte daran, dass er mit Marina bei einem Paartherapeuten gewesen war, einmal, als eigentlich schon alles zu spät war und sie ihn die ganze Zeit beschimpft hatte, wenn sie nicht gerade geweint und ihm vorgeworfen hatte, ihr Leben zu zerstören mit seinem Gemecker und seiner schlechten Laune, und er genauso wie der Therapeut kein Wort herausgebracht hatte, sondern immer nur zu Boden geschaut und auf das Ende der Therapiestunde, aber nicht auf das Ende der Beziehung gehofft hatte. Nun, die Therapiestunde war irgendwann vorbei und die Beziehung auch, einen Tag später. Marina hatte Luna eingepackt, ihren Job in einem Fremdspracheninstitut von jetzt auf gleich gekündigt und war mit einem Koffer und dem Kinderwagen zu ihren Eltern gereist, nach Barcelona, der Anfang und das Ende eines großen Dramas.
Hagen Junghans kehrte vom Fenster zurück und setzte sich wieder in seinen Ohrensessel. «Seit wann wissen Sie beide, dass Sie schwul sind?»
Paul und Kuli sahen sich an. Mit dieser Frage hatten sie nicht gerechnet.
«Ja, seit wann weiß man so etwas», sagte Kuli und fixierte die Gruft im gegenüberliegenden Haus.
«Sie haben eine Tochter in Barcelona, sagen Sie», fuhr der Therapeut fort. «Ist das eine Belastung für Ihre Beziehung gewesen?»
«Es wäre mir recht, wenn wir meine Tochter da raushalten könnten.» Paul wurde unbehaglich zumute.
«Sie sind doch gar nicht schwul», sagte Hagen Junghans.
«Selbstverständlich sind wir schwul», ereiferte sich Paul.
«Stockschwul», bekräftigte Kuli.
«Sind Sie nicht», beharrte der Therapeut.
«Schwuler als die Village People und die Pet Shop Boys zusammen!», unterstrich Kuli und machte ein eindringliches Gesicht.
Hagen Junghans grinste diabolisch.
«Küssen Sie sich», sagte er.
Paul und Kuli zuckten zurück. «Was?», fragte Paul.
«Küssen Sie sich!»
«Wenn wir uns noch küssen würden, dann säßen wir nicht hier», konterte Kuli schlagfertig.
«Was für eine Therapiemethode ist das denn?», wollte Paul wissen. «Konfrontationstherapie?»
«Ich will sehen, ob Sie wirklich schwul sind. Küssen Sie sich», forderte Hagen Junghans sie unwirsch auf.
«Na ja», sagte Paul und guckte Kuli an.
«Puh», sagte Kuli und atmete tief durch. Dann beugte er sich genau wie Paul ein wenig zur Seite, näherte sich bis auf Atemreichweite an, merkte aber, dass sie sich wie zwei Minuspole zueinander verhielten. Keine Chance.
«Okay, was soll das Affentheater?», fragte Hagen Junghans ärgerlich und stand auf. «Ist das eine Verarsche, die ich lustig finden soll, oder woher kommen Sie? Presse? Versteckte Kamera? Radiocomedy?»
«Na gut, lassen wir es», streckte Paul die Waffen. «Wir wollten Sie testen.»
«Mich? Warum?»
«Mal sehen, wie Sie reagieren. Wenn Sie mit Stalking konfrontiert werden», erklärte Paul.
«Was soll denn daran so besonders sein? Das gehört zu meinem Alltag», sagte Hagen Junghans und nahm sein Telefon zur Hand. «Entweder Sie verraten mir jetzt sofort, was hier los ist, oder ich rufe die Polizei.»
Kuli räusperte sich. «Wir haben halt gedacht, Sie könnten überreagieren. Oder sich auf meine Seite schlagen. Oder mein angebliches Stalken kleinreden.»
«Warum sollte ich das tun?», wunderte sich der Therapeut.
«Weil Sie selbst ein Stalker waren», platzte Paul heraus.
«Wer, ich?», fragte Hagen Junghans entsetzt.
«Ja, Sie», sagte Kuli. «Bei Lisa Gerhard. Das wissen wir genau.»
Hagen Junghans verfiel vorübergehend in Schockstarre. Dann drehte er sich um und ging zum Fenster.
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