Schlecht aufgelegt (German Edition)
«Lisa ist tot», sagte er leise.
«Das wissen wir», nickte Paul. «Und Sie haben sie verfolgt und nicht in Ruhe gelassen, obwohl Sie schon verheiratet waren und Kinder hatten.»
«Mit einer anderen Frau», ergänzte Kuli sinnloserweise.
«Wer hat Ihnen so etwas bloß erzählt?», murmelte Hagen Junghans.
«Stimmt es denn nicht?», fragte Kuli.
Hagen Junghans drehte sich um. «Kein Wort davon stimmt. Zumindest nichts, was Lisa betrifft.»
«Nichts?», fragte Paul.
«Alles gelogen. Richtig ist, ich habe Lisa geliebt. Das war schwer genug. Sie war sehr … wankelmütig. Schwierig. Voller Widersprüche. Voller irrationalem Verhalten. Das war sehr reizvoll. Anfangs. Aber am Ende ging es nicht mehr. Darum habe ich mich ja auch von ihr getrennt.»
«Moment mal», hakte Kuli nach. « Sie haben sich von ihr getrennt?»
«Ja», sagte der Therapeut, ging nach nebenan und kam fast augenblicklich mit einem Stapel Din-A4-Ausdrucke in der Hand zurück. «Kann ich alles beweisen. Ich habe es per E-Mail getan. Nicht sehr mannhaft, ich weiß. Aber sie konnte auf unangenehme Weise aggressiv werden, wenn ihr etwas nicht passte.»
Kuli dachte an fliegende CDs von Lady Gaga und Bryan Adams und nickte. «Stimmt», sagte er.
«Und außerdem hatte ich schon meine jetzige Frau kennengelernt und wollte es nicht komplizierter machen als unbedingt nötig», sagte Hagen Junghans. «Deshalb war ich froh, als unsere Beziehung endlich vorbei war. Das alles ist aber über drei Jahre her, und seitdem hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihr. Obwohl sie mir hinterhertelefoniert hat. Und mir Mails geschrieben hat. Immer mal wieder. Teils sehr üble. Wenn hier jemand gestalkt hat, dann war sie das.» Er wedelte mit den Ausdrucken. «Die habe ich übrigens auch schon der Polizei gezeigt. Und jetzt würde ich gerne mal wissen, wer Sie wirklich sind und was Sie das alles angeht, Herr Uhlenbrock, Herr Kulenkampff oder wie Sie wirklich heißen.»
Paul erhob sich aus seinem Stuhl. «Sind Sie traurig wegen Lisa Gerhards Tod?», fragte er.
«Selbstverständlich», sagte Hagen Junghans. «Obwohl es mich nicht überrascht hat. Sie hat sich immer schon auf die falschen Leute eingelassen und ist viel zu viele Risiken gegangen.»
«Sie war doch auch mit Ihnen zusammen», stellte Kuli fest.
«Menschen wie Lisa tun so etwas manchmal. Sie suchen die Sicherheit, um vor sich selbst zu entfliehen. Sie nehmen das Stabilste und Langweiligste, was sie kriegen können, um ihre eigene Labilität zu überlisten. Und der Stabile, Langweilige sucht auf der anderen Seite das Abenteuer, zumindest in geordnetem Rahmen. So begegnen sich beide Partner in einer Mitte, die keinem gut tut. Irgendwann verfliegt der Zauber, man fängt an, auszureißen, sich in gewohnte Muster zurückzubewegen, sich zu lösen. Oder man frisst den Partner und sich selbst auf. Ich wollte mich aber nicht auffressen lassen. Also bin ich gegangen.»
Paul nickte und dachte, dass seine Partnerschaft zu Marina aus ähnlichen Gründen gescheitert war. Sie wollte immer auf den Tischen tanzen, die er gerade mit der Axt einschlug. Das konnte nicht gut gehen.
Hagen Junghans zeigte zur Tür. «Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wer Sie eigentlich sind und was Sie von mir wollen.»
«Wir sind Call-Center-Agenten, na ja, wir arbeiten halt im Call-Center, also ich jedenfalls», sagte Paul. «Und wir waren wahrscheinlich die Letzten, mit denen Lisa Gerhard gesprochen hat, bevor sie ermordet wurde.»
«Und jetzt spielen Sie Privatdetektiv, oder wie soll ich das verstehen?», fragte Hagen Junghans irritiert.
Kuli und Paul nickten peinlich berührt.
«Dann», sagte der Therapeut abschließend, «ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, sollten Sie entweder noch ein bisschen üben oder lieber gleich ganz beim Telefonieren bleiben.»
« B leiben wir halt beim Telefonieren», sagte Paul grimmig und hielt Kuli die Tür auf. Sie betraten den Tele-Internet-24/7-Shop, der ihnen auf der Suche nach einer Zelle, die sich nicht im fernen Wedding befand, zufällig auf der Hermannstraße untergekommen war. Der Laden war lang und schmal, hinter dem Tresen auf der rechten Seite saß eine aufwendig überschminkte junge Frau türkischer Herkunft und rauchte sich mit gelangweiltem Gesicht die Arbeitszeit schön. Im Hintergrund hingen drei Männer und zwei Frauen an den eng gestellten Internetplätzen und brüteten vor sich hin wie Süchtige in einer Opiumhöhle. Nur das Klicken der Mäuse drang aus dieser Ecke nach vorn. Ganz
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