Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
Vom Netzwerk:
Hennings offenes, enthusiastisches Gesicht, der Überschwang, mit dem er ihr den Antrag gemacht hatte, die Energie, mit der er alle Menschen um sich herum für sich und seine Ideen begeistern konnte, engumschlungene Momente der Vertrautheit und des Glücks. Sie war noch nie so verliebt gewesen wie in diesen Mann. Damals.
    «Henning …», sagte sie leise und zog die Decke ein wenig höher.
    «Was?», fragte er in gleichem Ton zurück.
    «Tut es dir leid?»
    «Dass Lisa … dass die Frau tot ist?»
    Er spürte die Veränderung in ihrem Wesen, konnte sie aber nicht einordnen.
    «Nein», sagte Susanne Bürger. «Das, was du mir antust.»
    Ein langes Schweigen entstand. Im Hintergrund hörte Susanne Telefone klingeln, Anfeuerungsrufe, Zahlen, Prognosen, aufgeregte und hochgepeitschte Stimmen von Parteifreunden, Zuarbeitern und Förderern. Henning Bürgers Umgebung schien vor Adrenalin zu bersten. Trotzdem war es der erste intime Moment seit langem.
    «Ja», sagte er.
    «Gut.» Ihre Stimme fand eine Sanftheit wieder, die lange verloren schien.
    «Susanne …», begann er. Sie schloss die Augen und hoffte auf etwas Schönes, etwas Tröstendes. «Warst du es?», fragte er stattdessen. Es war, als hätte man ihr die positiven Empfindungen mit Presslufthammer und Abrissbirne sofort wieder aus dem Leib getrieben.
    «Du bist so ein Idiot», fauchte sie.
    «Ich frage mich, wo Klaus ist», sagte Henning Bürger nervös, ohne auf seine Frau einzugehen. «Ich brauche ihn hier. Er muss die Übergabe machen.»
    Sie drückte mit aller Kraft auf die rote Taste, warf das Telefon gegen die weiße Wand, dass es nur so krachte, und riss die weiße Bettdecke, die perfekt zu dem weißen Teppich, dem weißen Kleiderschrank und dem weißen Gestell ihres Kingsize-Bettes passte, bis unter ihre weiße Nase. Sie bebte vor Zorn.
    Unter der Decke neben ihr regte sich etwas.
    «Hey, hey, hey», sagte ein auffällig blonder und kräftig wirkender Mann mittleren Alters, der die ganze Zeit geschwiegen hatte und der sich ihr nun zuwandte. «Was hat er gesagt?» Er legte ihr beruhigend die Hand auf die Knie, die sogar durch das Laken sichtbar zitterten.
    «Er sucht dich», sagte Susanne Bürger, nahm mit einem Ruck die Decke beiseite und schritt, nackt, schön und aufrecht, wie sie war, ins Badezimmer. Sie hatte das dringende Bedürfnis zu duschen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Die Übergabe
    K uli hatte sich von Paul verabschiedet und dabei irgendwie nachdenklich gewirkt. Er müsse noch etwas erledigen, hatte er gesagt und war zu Fuß in Richtung Hasenheide aufgebrochen. Klar, dachte Paul. Da hinten, am Südstern, da war Bettinas Blumenladen. Er musste an Sophie denken und an die letzte Nacht, die so schön gewesen war wie keine Nacht der näheren Vergangenheit. Sie hatte geredet – er auch. Sie hatte gelacht – er auch. Ein paar Kleinigkeiten gegessen hatten sie, trotz der späten Stunde, ein paar Kleinigkeiten, die er in ihrer Küche zubereitet hatte, und er hatte es genossen, wie sie es genoss. Seine ganze schlechte Laune, seinen Missmut, seine Lebensverdrossenheit hatte Sophie mit einem großen Besen aus ihrem Loft gefegt, zusammen mit den Essensresten in die große, grüne Tonne auf dem Hinterhof gekippt, vielleicht sogar in Urlaub geschickt, mit einem One-Way-Ticket, wenn es ganz besonders gut lief. Sie hatten sich Gute-Nacht-Geschichten erzählt, dann waren sie eingeschlafen, in Sophies Bett, ineinander verschlungen, Hand in Hand und hochzufrieden. Und das alles ohne Sex, was einem vielleicht erst einmal seltsam vorkam, was aber doch nichts war als einfach nur gut und richtig, denn so stand ihr gestriger Abend für Nachhaltigkeit, für weitere Treffen, für echte Gefühle, für das ganze Rundum-Paket einer romantischen Zweierbeziehung. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, man konnte es aber auch kurz machen: Er, Paul Uhlenbrock, war verliebt.
    Beschwingt stellte er sich in die vollbesetzte U7, dann in die vollbesetzte U6, dann an der Friedrichstraße in irgendeine der minütlich vorfahrenden S-Bahnen, die zum Bahnhof Zoo fuhren. Er hatte Vorbereitungen zu treffen für morgen, für den großen Tag in Sachen Henning Bürger. Für den Tag, an dem sich vielleicht schon die Wahl entschied, ohne dass ein einziger Berliner zur Urne gegangen war. Er stieg aus und lief die Treppen zur Eingangshalle hinunter, in der die üblichen Geschäfte und Imbisse auf Kundschaft warteten. Blumen, Zeitungen, Fastfood, ein Mini-Supermarkt, eine Bäckerei und

Weitere Kostenlose Bücher