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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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wie meist aus Jeans und Kapuzenpullover bestand.
    «Hab was dabei», sagte Kuli und zog eine Baseball-Mütze aus der Jackentasche. NY stand da in weißer Schrift auf blauem Grund. Er setzte die Kappe auf und machte ein zufriedenes Gesicht. «Siehste.» Er studierte interessiert die Getränketafel über der Backstube.
    «Vergiss es», sagte Paul. «Wir trennen uns jetzt. Ich geh in den Zeitschriftenladen und beobachte die Übergabe des Schlüssels.»
    «Und ich?»
    «Du setzt dich da vorne auf den Boden, wo es zu den Schließfächern geht.»
    «Bist du bescheuert?», empörte sich Kuli.
    «Wie ein Penner machst du das!», befahl Paul. «Wie sollen wir denn sonst gucken, ob alles klappt?»
    «Ich setz mich doch nicht da auf den Boden!»
    Paul öffnete seine Sporttasche und zog eine bunt gemusterte Kinder-Ukulele hervor. «Mach ein bisschen Musik», schlug er vor. «Dann ist dir nicht so langweilig, und die Tarnung ist perfekt. Die Tasche kannst du vor dich hinstellen, dass die Leute da Geld reinwerfen.»
    «Ich glaub, ich spinne!», rief Kuli und zeigte Paul einen Vogel. «Ich bin Bassist. Was weiß ich denn, wie man so ein Ding spielt!»
    «Umso besser. Dann lernst du hier sogar noch was», sagte Paul und klopfte Kuli kräftig auf die Schulter. «Positiv denken!»
    «Dann mach du das doch mit der Ukulele, und ich gehe in den Zeitungsladen!»
    «Kuli», sagte Paul geduldig. «Ich kann ja nicht mal Bass spielen. Wie soll ich aus so etwas also auch nur einen einzigen Ton herausholen? Guck mal: Hat vier Saiten, genau wie dein Bass. Du wirst schon zurechtkommen. Und pass gut darauf auf, das Ding gehört Luna. Wir bleiben in Verbindung.»
    Damit drückte er Kuli Ukulele und Sporttasche in die Hand und ging Zeitung lesen. Kuli schaute ihm kurz nach, dann marschierte er notgedrungen in die entgegengesetzte Richtung. Am Ende des schmalen, schlauchförmigen Zugangs zum Schließfach-Bereich blieb er stehen und sah sich um. Nichts los, dachte er. Welcher halbwegs intelligente Straßenmusiker setzte sich denn ausgerechnet hier hin, wo kaum jemand vorbeikam? Na ja, gehörte er eben zu den halbwegs Unintelligenten. Er betrachtete die Steinfliesen und sah eine Blasenentzündung auf sich zukommen. Was soll’s, dachte er und hockte sich im Schneidersitz hin, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, die geöffnete Tasche wie zum Schutz einen Meter von sich entfernt auf den Boden gestellt. Bequem war das nicht. Er zupfte an der Ukulele herum. Verstimmt. Wie stimmte man eigentlich eine Ukulele? Wie einen Bass ja wohl kaum. Er schraubte an den Wirbeln herum, bis die Saiten irgendwie nach irgendetwas klangen, und spielte ein paar Töne, die er selbst nach wenigen Sekunden als You Drive Me Crazy von Shakin’ Stevens identifizierte. Das ist der Tiefpunkt, dachte er und entwickelte augenblicklich einen gewissen Ehrgeiz darin, die Melodie so perfekt wie möglich zu intonieren. Er versank ganz in sich und seinem Instrument und bemerkte selbst jetzt, in dieser absurden Situation und auf diesem kalten, von vielen Füßen getretenen Boden, dass allein Musik die Kraft besaß, ihn glücklich zu machen.

    P aul betrat das Zeitungsgeschäft und suchte nach dem strategisch besten Platz, um den Kassenbereich im Auge behalten zu können. Ausgerechnet bei den Flugzeugmagazinen schien der ideale Ort dafür zu sein. Flugzeugmagazine, dachte er. Wieso denn eigentlich Flugzeugmagazine? Ein ganzes Regal voller Flugzeugmagazine? So viele Flugzeuge gab es doch gar nicht. In ein Flugzeug stieg man ein und flog los und kam, wenn es gut lief, gesund irgendwo an und stieg wieder aus. Aber darüber tonnenweise Material lesen? Wer tat denn so etwas? Nachwuchspiloten? Modellsammler? Nostalgiker? Segelflieger? Alle, stellte er fest, als er sich mit den verschiedenen Zeitungstypen intensiver befasste. Er blätterte eine Ausgabe von Flugzeug Classic durch, in der die Boeing B-52 als großer Angstmacher beschrieben und die erste Luftbrücke der Kriegsgeschichte in Demjansk vorgestellt wurde. Alles klar, dachte Paul und lugte in Richtung Kasse, wo eine rothaarige und leicht pausbäckige Frau um die dreißig mit der gleichen, stoischen Routine die Kunden abfertigte wie ihr Kollege gestern. Die Größe der Schlange hielt sich momentan in Grenzen, vielleicht weil die Verkäuferin eine Idee schneller war als Roger Rabbit, vielleicht aufgrund der Uhrzeit. Okay, es kann losgehen, dachte Paul und vertiefte sich in den Technikbericht der Messerschmitt Bf 109.

    Ü bergabe kommt von

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