Schlecht aufgelegt (German Edition)
Stimme. Paul seufzte. Das schien ja wirklich die Parole des Tages zu sein. Martin Schulte stand nun vor ihnen, mit leicht geröteten Augen und ungewohnt unsicheren Blicks. «Das ist ja total schrecklich. Brauchst du irgendwas? Kann ich dir irgendwie helfen?», fragte er und wusste nicht so recht, wohin mit seinen Armen. Alles Ölende und Arrogante war von ihm abgefallen.
«Nee, alles okay», sagte Paul. Dann grinste er. Der kam ihm gerade recht. «Obwohl …», sagte er also, «da fällt mir doch was ein.»
«Okay, sag ruhig», antwortete Martin Schulte nervös und sah sich unbehaglich um. Aber die anderen Kollegen saßen weit genug weg, niemand bekam sein abnormes Verhalten mit.
«Ich brauche ein paar Sachen aus der Apotheke», sagte Paul. «Das wäre sehr nett, wenn du in deiner Pause da mal kurz losziehen würdest. Oder vielleicht schickst du auch einfach Manuel aus der Kundenbetreuung.»
«Geht klar», sagte Martin Schulte und nickte resigniert.
«Ach, und Hunger habe ich dann. Kann aber nicht so gut kauen», sagte Paul. «Das wäre total nett, wenn du mir vielleicht eine Suppe mitbringen könntest, von Soup’s Kitchen. Das sind die einzigen, die schmecken.»
«Wo sind die denn?», fragte Martin Schulte. «Kenn ich gar nicht.»
«Na, da musst du wohl ein paar Stationen mit der Bahn fahren. Die sind schon fast in Schöneberg.»
«In Schöneberg?», fragte Martin Schulte, und für einen Moment schimmerte Wut in seinen Augen durch. «Da geht ja meine ganze Pause drauf.»
«Ja, stimmt», sagte Paul ungerührt. «Du kannst das natürlich auch lassen. Ich hab aber echt schlechte Laune gerade. Und ich fände das total spannend zu gucken, wie die Kollegen auf ein bestimmtes Foto am Schwarzen Brett reagieren. Hab ich dir ja erklärt. Und sag mal, hast du nicht auch eine Freundin? Hat mir mal irgendwer erzählt. Wie fände die das denn wohl so, wenn sie ihren Freund …»
«Du bist ein Arschloch», sagte Martin Schulte. Aber er sagte es nicht wütend, eher sachlich.
«Du auch», sagte Paul ebenso emotionslos und drückte so routiniert wie beiläufig seinen ersten Anrufer aus der Leitung. «Hat der Schichttausch geklappt?»
«Ja», hauchte Martin Schulte. «Herr Kletzke richtet sich da ganz nach mir, sagt er.»
«Na, das ist doch schön», erwiderte Paul zufrieden. «Kommt eben auf die richtigen Freunde an, was, Martin?», sagte er abschließend und beschäftigte sich dann mit seinem Headset. Martin Schulte verstand, dass damit das Gespräch beendet war, und zog ab. Paul wusste, er hatte von nun an einen Feind fürs Leben.
«Ich find das nicht gut», sagte Kuli und blickte Paul empört an. «Und er hat recht.»
«Was denn?», seufzte Paul. «Womit denn?»
«Der Martin Schulte ist vielleicht ein Arschloch», erklärte Kuli, «aber du auch. Du bist keinen Millimeter besser als der.»
«Das hier ist die Wildnis, Kuli», sagte Paul düster. «Ich hab dir das doch schon erklärt. Hier geht’s ums Überleben.»
«Ich glaub, du musst mal zum Arzt», stellte Kuli fest und drehte seinen Stuhl in Richtung des sich langweilenden Bildschirms. Gut, dass gerade mal ausnahmsweise keine Warteschlange war.
«Ist ja schon gut», knurrte Paul nach einer kleinen Pause. «Morgen höre ich wieder damit auf.» Er warf einen Blick zur Seite.
«Okay», sagte Kuli und schien zur Versöhnung bereit.
«Aber heute gibt es Suppe», ergänzte Paul geschäftig und rieb sich die Hände. «Willst du eigentlich auch? Ich kann dem das ganz schnell …»
«Mann, nein», sagte Kuli und bemühte sich um ein finsteres Gesicht.
«Sag mal, wie siehst du überhaupt aus?», fragte Paul nun seinerseits. Kuli sah tatsächlich verändert aus. Anstelle des üblichen T-Shirts oder Kapuzenpullis trug er ein blaues Hemd, das bis auf den Kragen gebügelt war, mittelprächtig gebügelt, aber gebügelt. Über seinem Stuhl hing ein Jackett, schwarz und sicherlich schon ein paar Jahre alt, aber sauber. Seine Jeans waren ebenfalls schwarz, und der Ton war nur ganz leicht anders als der Ton des Jacketts; die beiden Kleidungsstücke passten also zumindest im Dunklen perfekt zusammen.
«War noch mal kurz zu Hause», sagte Kuli. «Hab mich umgezogen.»
«Hast du ’n Date?», fragte Paul und hätte gerne etwas gelacht, wenn ihm das nicht so weh getan hätte.
«Ja», schnappte Kuli und blickte weiter starr nach vorn.
«Mit ’ner Frau?», wollte Paul verwundert wissen.
«Ja», schnappte Kuli.
«Ja, wer denn bloß? Sag bloß, die Frau aus Kreuzberg?
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