Schlecht aufgelegt (German Edition)
nichts mit sich anzufangen. Auch auf Grübeln hatte er keine Lust mehr. Das tat er ja eh ständig. Und selbst der Sherlock Holmes in ihm hatte Pause, weil Dr. Watson ja gerade auf Solopfaden wandelte. Holmes, Watson, auch alles scheiße. Paul griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Vielleicht kam ja wenigstens Fußball oder irgendein anderer Kram, wo man hirntot vor sich hin starren konnte.
« O kay, gut, das ist eine andere Hausnummer», staunte Kuli und schaute sich mit großen Kinderaugen um. «Nur, dass man da jetzt seine Schuhe ausziehen musste, finde ich ein bisschen …»
Sie saßen sich auf Matten gegenüber, im Schneidersitz und umringt von einem Haufen kuscheliger Kissen. Kuli war froh, dass seine Socken keine Löcher hatten. Das Indian Palace war in der Tat geradezu palastähnlich eingerichtet. An den Wänden hingen Teppiche von anno dazumal mit explizitem, aber künstlerisch wertvollem Inhalt. Genauer gesagt ging es auf allen Bildern darum, dass ein Mann und eine Frau, schlangenartig ineinander verwoben, rohen Sex hatten, doch sie sahen sehr liebevoll und elegant dabei aus. Elefantenstatuen stützten mit ihren Rüsseln die Decke und bildeten gleichzeitig den Durchgang zu den einzelnen Séparées, in denen die Gäste saßen und speisten. Zwischen Kuli und Bettina stand ein kleiner, viereckiger Holztisch, dessen Platte sich nur eine knappe Meerschweinchenhöhe über dem Boden befand. Sitar-Musik und der Geruch von Gewürzen erfüllten den Raum, das Licht war aufs geheimnisvollste abgedunkelt, lediglich zwei große und süßlich duftende Kerzen spendeten Helligkeit und malten flackernd Schatten auf die Gesichter. Das Restaurant war bis auf den letzten Platz ausgebucht und flirrte vor Exotik. Ein großer, würdevoller, ganz in Weiß gekleideter Kellner mit kunstvoll geflochtenem, grau meliertem Bart und orangefarbenem Turban hatte ihnen die Karten gebracht und sich dabei leicht vor ihnen verbeugt. Nichts gegen Remzi, dachte Kuli, aber gegen das Indian Palace konnte er eindeutig einpacken.
«So wie du guckst … Du bist zum ersten Mal beim Inder, oder, Kurt?», fragte Bettina und lachte ihn an.
«Ku…?», wollte Kuli, der Bettinas Lachen in diesem Licht noch anziehender fand als sonst, gerade sagen, als ihm wieder einfiel, dass ihre Bekanntschaft ja auf einer Lüge basierte.
«Ach so, ja», sagte er daher. «Bin ich tatsächlich. Hab noch nie über einem Inder gewohnt.»
Bettina wollte sich ausschütten vor Lachen, und Kuli fühlte Stolz in sich aufsteigen. Es war an der Zeit, lang gepflegte Komplexe zu begraben, endlich positiver über sich und seine Wirkung auf die Frauen zu denken. Er war der Mann, dem Kunststudentinnen am helllichten Tag ein Lächeln schenkten. Er war der Mann, der hübsche Blumenverkäuferinnen zum Lachen bringen konnte. Er war nicht Obelix.
«Erzähl doch mal ein bisschen was von dir», sagte Bettina, nachdem sie sich die Lachtränen aus den Augen gewischt hatte.
«Was?», antwortete Kuli und erschrak. Jetzt wurde es kompliziert. Er hatte vergessen, sich eine Biographie zuzulegen. Wie unprofessionell.
«Na los», stachelte Bettina ihn an. «Ich sitze hier mit einem Mann, dem ich ein Trauergesteck verkauft habe, und weiß nichts über ihn. Das will ich ändern. Das ist doch der Sinn eines solchen Abendessens, oder?»
«Sicher», seufzte Kuli und beschloss, größtenteils die Wahrheit zu erzählen. Spielte ja eigentlich keine Rolle.
«Ich bin noch nicht so lange in Berlin», erzählte er also. «Hab ich ja schon gesagt.»
«Wo kommst du denn her?»
«Mülheim. Mülheim an der Ruhr. Muss man nicht kennen, zerfällt auch irgendwie gerade in seine Einzelteile, aber man kann sich seine Heimat ja nicht aussuchen. Ist im Ruhrgebiet, zwischen Essen und Duisburg.»
«Ach?»
«Ja. Zuletzt war ich aber in Dortmund. Also, was heißt zuletzt? Zwanzig Jahre insgesamt. Bin da hingezogen, wegen dem Bund.»
«Klingst gar nicht danach», sagte sie und warf einen Blick in die Karte, die beide bisher unangetastet gelassen hatten. «Also, nach Ruhrgebiet», ergänzte sie und grinste. «Den Soldaten höre ich natürlich bei jedem Satz heraus.»
«Jetzt aber mal stillgesessen», sagte Kuli.
«Bin ja schon ruhig», grinste Bettina und vertiefte sich noch mehr in die Karte.
Kuli versuchte abzuschätzen, wie viel er verraten durfte und ab welchem Moment er sich aber mal so richtig in die Grütze reiten würde. «Nee, ich kling nicht nach Ruhrgebiet», erläuterte er.
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