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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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was ich so an dir schätze!», sagte Richard Schiefelbeck schmeichelnd. «Du machst dich kleiner, als du bist. Du arbeitest mit Understatement. Das ist so wahnsinnig clever, Paul. Da sollen die anderen denken, was sie wollen.»
    «Wieso, was denken die anderen denn?» Das irritierte Paul jetzt doch.
    Richard Schiefelbeck strahlte ihn an. «Ist doch egal. Ich weiß, was du drauf hast, das ist die Hauptsache. Ich schaue über den Tellerrand hinaus, Paul. Das sind doch alles Idioten hier. Du weißt das, und ich weiß das. Die gehen nach Hause und spielen an der Playstation, saufen sich die Hucke voll oder gucken Frauentausch . Du bist der einzige kluge Kopf hier. Du, Paul, du bist ein Intellektueller.»
    «Ich?»
    «Ja, sicher», sagte Richard Schiefelbeck mit großer Überzeugungskraft. Dann beugte er sich etwas vor. «Kannst du dir das vielleicht mal durchlesen? Ist auch gar nicht so viel, wirklich.»
    Paul wollte jetzt wirklich gerne arbeiten. «Was ist das denn überhaupt? Ein Krimi? Ein Drama?», fragte er, um die Sache mal zum Punkt zu bringen.
    «Poesie», sagte Richard Schiefelbeck und strahlte erneut. «Kunst, Paul. Echte Kunst. Von ganz innen. Nach außen. Und du sagst mir, ob ich mich einen Dichter nennen darf. Du alleine entscheidest, ob das veröffentlicht wird oder nicht. Vielleicht hast du ja sogar Kontakte aus deiner Studienzeit, die ich, also wir, dann nutzen könnten. Das wird großartig, Paul! Pass mal auf: Du wirst mein Agent, Paul! Großartig!»
    Richard Schiefelbeck belohnte ihn mit einer Umarmung voller echter, warmer, leicht schwitziger Begeisterung, die Paul vor Schmerz und Ekel zusammenzucken ließ.
    «Wie viel ist das denn?», fragte Paul.
    «Nicht viel», sagte der hoffnungsvolle Nachwuchs-Dichter, griff in die Tasche am Fuße seines Schreibtischs und holte ein Din-A4-Blatt heraus. Paul las die Überschrift über dem ersten Gedicht: Froschscheiße , stand da.
    «Ja komm, dann gib mal her», sagte er.
    «Super», freute sich Richard Schiefelbeck und griff erneut in die Tasche. Dieses Mal förderte er einen ganzen Packen Din-A4-Seiten hervor, auf den man mühelos Tolstois Krieg und Frieden hätte drucken können. «Das ist der Rest», sagte er atemlos und drückte Paul den ganzen Stapel in die Hand.
    «Ich …», sagte Paul überwältigt.
    «Mensch, danke, Paul. Du hast echt was gut, mein Freund.» Richard Schiefelbeck schlug Paul auf die Schulter, der schon unter dem Gewicht der Blätter kurz in die Knie gegangen war.
    «Aber das dauert», sagte Paul. «Ich hab gerade nicht viel Zeit.»
    «Nimm dir alle Zeit, die du brauchst», erwiderte Richard Schiefelbeck gönnerhaft. «Ich frag Anfang nächster Woche mal nach.» Und mit diesen Worten setzte er sich wieder an seinen Platz und legte voller Zufriedenheit die Kopfhörer an.
    Paul schleppte sich weiter nach hinten, wo Kuli in der Zwischenzeit mehrmals erneut den Arm gehoben hatte.
    «Ja, ich hab dich ja schon gesehen», murrte Paul und ließ sich neben Kuli nieder.
    «Mann, wie siehst du denn aus?», fragte Kuli erschrocken. «Haben die uns etwa schon am Arsch?»
    «Wer?»
    «Na, der Verfassungsschutz, Henning Bürger und so», flüsterte Kuli und ließ vor Schreck fast sein Headset fallen.
    «Quatsch», sagte Paul und blinzelte durch sein leicht angeschwollenes Auge. «Das war ein vierjähriger Junge. Vielleicht war der auch drei. Friedrich hieß der. Meine Geldbörse ist auch weg.»
    «Berlin ist so krass», stammelte Kuli. Er schob eine aufgeschlagene Zeitung zu Paul herüber und tippte mit dem Finger auf einen bestimmten Artikel. Mord in Charlottenburg stand da als Überschrift. Darunter ein Foto von Lisa Gerhard, auf dem sie sehr hübsch aussah, umgeben von Blumen und völlig ohne blutige Nase. Paul überflog den Artikel, in dem jetzt nicht so viel Neues drinstand, außer vielleicht, dass Lisa Gerhard nur zweiunddreißig Jahre alt geworden, als Waise bei ihrer Tante aufgewachsen und in Pankow geboren worden war, genau wie Paul. Er nickte und meldete sich mit ein paar Tastaturbefehlen am System an. Acht Stunden Quasseln lagen vor ihm. Acht Stunden Kampf gegen das halb geschlossene Auge. Acht Stunden Kampf gegen die geschwollene Unterlippe. Acht Stunden Kampf gegen den inneren Schweinehund. Acht Stunden unfreundliche Kunden. Und Telefonate mit Behörden und Institutionen, bei denen er seine Karten sperren lassen und neu beantragen musste. Und damit würde er jetzt erst einmal anfangen.
    «Mann, wie siehst du denn aus?», fragte eine weitere

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