Schlecht aufgelegt (German Edition)
er, «hast du meine Gedichte denn schon gelesen? Hast du angefangen? Bist du drangeblieben? Konntest du sie überhaupt wieder aus der Hand legen?»
«Angefangen», nuschelte Paul. «Ich will mich aber erst dazu äußern, wenn ich die alle … also so im Zusammenhang gelesen habe. Wäre unprofessionell vorher. Erst im Zusammenhang lesen.»
«Was hast du denn bisher gelesen?»
« Froschscheiße zum Beispiel. Froschscheiße war … also, so etwas habe ich noch nicht gelesen. Wirklich!»
Richard Schiefelbeck freute sich. «Du bist mein Mann, Paul», sagte er. «Enttäusch mich nicht. Ich zähle auf dich. Ich baue auf dich. Du bist mein Partner.» Dann schnippte er mit zwei Fingern seiner rechten Hand, zeigte mit dem Zeigefinger verabschiedend auf Paul und ging zurück zu seinem Arbeitsplatz, um auch die nächsten Stunden weitestgehend ohne Telefonate durchzukommen und trotzdem von der Schichtleitung gemocht zu werden.
Wenige Augenblicke später kam Kuli zurück und setzte sich umständlich auf seinen Stuhl. «Was mach ich nur, was mach ich nur?», fragte er. «Furchtbar ist das.»
«Jetzt beruhig dich mal.»
«Kann ich nicht.»
«Ich denk, du warst beim Bund.»
«Na und, glaubst du, da hat man dann keinen Schiss mehr, oder was? Denk an Full Metal Jacket .»
«Hab ich nicht gesehen.»
«Solltest du mal. Solltest du mal!»
«Okay, okay, ist ja gut, ich helf dir. Das Elend kann ja kein Mensch ertragen», sagte Paul gelassen und passte einen Moment ab, in dem auch Herr Kletzke auf dem Hügel telefonierte; seinem weichen Gesicht und den fast menschlichen Zügen nach zu urteilen war es ein privates Gespräch. Der Sherlock Holmes in Paul ließ seinen Blick über die Tischgruppen schweifen und endete bei Sandy Schorndorf, die verträumt und ebenso lächelnd Möhren und Salzstangen Gemüse und Gebäck sein ließ und mit ihrem Zeigefinger das Telefonkabel eindrehte. Seltsamerweise sprach sie immer dann in ihr Headset, wenn Herr Kletzke an seinem Apparat schwieg und umgekehrt. Na ja. Jedenfalls passte Paul diesen Moment ab und hob den Arm in Richtung Martin Schulte, der einige Plätze entfernt mit geradezu vorbildlich angezogenen Schuhen und hängenden Schultern auf seinem Sitz kauerte. Herkommen hieß das, und Martin Schulte sah und verstand. Nur wenige Sekunden später stand er vor Paul wie ein unartiger Schuljunge vor seinem Lehrer.
«Na?», sagte Paul und lachte Martin Schulte an.
«Na», sagte auch Martin Schulte, nur klang es bei ihm so ton- wie trostlos.
«Hör mal», begann Paul verschwörerisch. «Unser Kollege Kuli hier», er zeigte auf Kuli, der für einen Moment seine Panik vergaß und hoffte, dass Paul hier nicht wieder so eine Arschloch-Nummer durchziehen würde, «unser Kollege Kuli hat gestern gesagt, ich solle das nicht machen, hier mit dir und ausnutzen und fertigmachen und Suppe holen und so.»
Martin Schulte warf Kuli einen dankbaren Blick zu.
«Normalerweise höre ich nicht auf das, was Kuli sagt», fuhr Paul feierlich fort, «aber heute will ich mal nicht so sein.»
«Was, echt? Danke!», sagte Martin Schulte, schaute von einem zum anderen und war sichtlich erleichtert.
«Keine Ursache», freute sich auch Paul, dem es offenbar gefiel, eine gute Tat zu vollbringen. «Allerdings …»
Martin Schulte erstarrte. «Ja?», krächzte er.
«Ein letztes Mal brauche ich dich heute noch, und dann wollen wir’s auch mal gut sein lassen mit diesem Foto-Quatsch und Sexkram und Fremdgehscheiß. Ist ja auch deine Privatsache, mit wem du’s wann und wie und wo treibst und wie du deine Beziehung in den Sand setzt, geht mich ja schließlich gar nichts an.»
Martin Schulte nickte und machte sich auf das Schlimmste gefasst.
«Du kannst mir morgen dabei zugucken, wie ich das Foto von meinem Handy lösche», erklärte Paul in feierlichem Ton, «und ich schwöre dir auch, ich habe es noch nicht ausgedruckt und werde es auch nicht tun.»
«Gut.» Martin Schulte wurde immer misstrauischer.
Paul transformierte seinen Gesichtsausdruck vom Weihnachts- zum Geschäftsmann. «Aber», begann er sachlich und rieb sich die Hände, «ich habe all mein Geld heute beim Taxifahren ausgegeben und bin echt blank. Und der Kuli hat Ärger mit seiner Ex, kann man jetzt ja so sagen, nicht wahr, Kuli?»
Kuli nickte langsam und entsetzt.
«Und blank ist der auch. Und weil das so ist», beschloss Paul seine Rede, «kriegen wir nach deiner heutigen Arbeitspause dreihundert Euro von dir, hundertfünfzig für mich und
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