Schlecht aufgelegt (German Edition)
überhaupt nichts sagen, wenn der von der Polizei ist. Da gibt es doch auch so eine Schweigepflicht oder wie das da heißt. Und dann auch noch einer wildfremden Frau! Da könnte ja jeder kommen!»
Paul blickte sich empört zu dem vermeintlichen Polizisten um, der gerade eine größere Menge Schweiß von seiner Stirn tupfte und entschuldigend die Schultern hob, als er Pauls Zorn gewahr wurde.
«Ich kann sehr überzeugend sein», sagte Sophie.
«Ja, offensichtlich!» Paul hatte Schwierigkeiten, sich zu beruhigen. «Was hat der dir denn überhaupt erzählt? Vielleicht stimmt das alles ja auch gar nicht.»
«Das mit dem Mord an dieser Frau hat er erzählt und dass du und dein Arbeitskollege da am Tatort wart. Und dass ihr verdächtig seid. Und dass er das alles überhaupt nicht erzählen darf.»
«Stimmt alles», bestätigte Paul. Musste man zugeben.
«Und dass der dich schon eine ganze Weile beschattet», fuhr sie fort. «Rund um die Uhr. Jetzt natürlich nicht mehr. Jetzt muss wohl ein anderer Kollege kommen, weil du ja jetzt weißt, wie er aussieht, aber das weiß er noch nicht so genau. Und dass er sich sehr schämt, so auffällig gewesen zu sein. Dabei würden doch alle immer sagen, er wäre so unauffällig.»
«Mir kommen gleich die Tränen. Und was hast du ihm erzählt?»
«Dass ich davon keine Ahnung hatte und dass es mir leidtut, dass er jetzt enttarnt ist, und dass du wohl selbst ein bisschen Detektiv spielst», antwortete sie. Paul schlug sich vor die Stirn.
Die brünette Kellnerin kam mit einem kleinen schwarzen Buch zurück, in dem sich vermutlich die Rechnung befand. Sie legte es auf den Tisch.
«Eins will ich aber noch wissen», sagte Sophie Müller und blickte Paul mit einer Strenge an, die keine Ausflüchte zuließ. «Hast du oder ihr, habt ihr diesen Mord begangen?»
«Natürlich nicht», sagte Paul. «Was macht das denn?»
«Acht … achtundsechzig fünfzig», stammelte die Kellnerin und bekam wieder diese rosa Bäckchen.
«Siebzig», sagte Paul und legte nach den ersten beiden Scheinen noch einen dritten auf den Tisch. «Und noch mal zehn, wenn Sie alles vergessen, was Sie heute Abend gehört haben.»
Die Kellnerin nickte wie ein Aufziehhäschen mit voller Batterieleistung, nahm das Geld und wünschte noch einen schönen Abend. Dann verschwand sie in Richtung Küche. Vermutlich, um zu kündigen.
Paul und Sophie zogen ihre Jacken an. Der Polizist im Eingangsbereich tat es ihnen gleich. «Und jetzt?», fragte Paul.
Sophie Müller atmete tief durch. «Erst mal abhauen!»
S ie rannten, rannten und rannten. Sie hielten sich an den Händen, waren völlig außer Atem und hatten doch noch genügend Kraft, um dabei ausgiebig zu lachen. Paul war wieder sechzehn Jahre alt, voller Übermut, hatte das Leben vor sich, den puren Blödsinn im Kopf und noch nichts Wesentliches verloren außer seinen Milchzähnen. Sie hatten den Gendarmenmarkt überquert, waren die Friedrichstraße hochgespurtet, überquerten Unter den Linden, selbstverständlich ohne sich um die Ampelschaltung zu kümmern, dann vorbei am S-Bahnhof, vorbei sogar noch am Friedrichstadtpalast. Hier war ihr Tempo deutlich geringer geworden, und mal zog sie ihn, mal war es andersherum. Irgendwann bogen sie nach rechts in die Oranienburger Straße ab und blieben endlich stehen. Der Beamtenpolizist hatte anfangs noch versucht, ihnen zu folgen, musste aber schon nach wenigen Metern die Segel streichen. Vielleicht staubte seine Lunge, vielleicht war ihm auch einfach die Lächerlichkeit seines Handelns bewusst geworden. Das Letzte, was sie von ihm sahen, als sie sich umblickten, war, wie er sein Handy zückte und irgendjemanden anrief, vielleicht ja Kommissar Bernauer, der wahrscheinlich gerade in seinem Nachthemd vor einer schönen Tasse Whisky saß und auf ARTE einen alten französischen Film mit Jean Gabin schaute, wo wenigstens noch geraucht werden durfte.
«Ich glaub, ich muss da was erklären», keuchte Paul.
«Ich bitte darum», keuchte auch Sophie und stützte die Hände auf die Knie. «Aber ernsthaft.»
Paul erzählte ihr die ganze Geschichte, während sie an der Synagoge vorbeiflanierten. Er blieb ernst dabei. Dass Sophie zwischendurch dennoch herzhaft lachen musste, lag an seiner Schilderung von Kulis Anteil. Ganz fair war das nicht, dachte er, aber so ziemlich das Einzige, was er sich aus seinem Studium gemerkt hatte, war der Satz, dass man lieber einen guten Freund verlieren sollte als eine gute Pointe. Und mit Kuli war er ja
Weitere Kostenlose Bücher