Schlecht aufgelegt (German Edition)
lange schwimmen, wie Sie wollen, am Ende landen Sie immer wieder bei den Piranhas. Die jedenfalls brauchen gar nichts zu tun. Sie können einfach in der Mitte des Teiches warten, bis der Goldfisch keine Kraft mehr hat. Die Piranhas können ein bisschen mitschwimmen, wenn sie wollen, oder den Goldfisch einfach ignorieren. Am Ende landet der Goldfisch zwangsläufig und unausweichlich in ihrem Rachen und wird gefressen. Es gibt da keinen Ausweg. Der Goldfisch wird gefressen.»
«Wow», sagte Kuli, dessen Kehle sich ein wenig zugeschnürt hatte.
«So kann man das sagen», sagte der Blinde und nickte.
«Und Piranhas fressen wirklich Goldfische?», wollte Kuli wissen.
«Weiß ich nicht. Ist ja nur ein Bild», antwortete der Blinde.
«Okay», sagte Kuli und wartete.
«Genau», sagte der Mann und schien seinerseits zu warten.
«Äh, und wo ist da jetzt genau der Rat?», fragte Kuli schließlich.
«Ach so. Graben Sie ein Loch, das so klein ist, dass die Piranhas da nicht hineinkommen», sagte der weise Fremde, öffnete seine Cola und nahm einen Schluck. «Graben Sie ein Loch, verstecken Sie sich, stören Sie die Piranhas nicht, stören Sie sie nie wieder und hoffen Sie darauf, dass die Piranhas Sie irgendwann vergessen.»
«Ich verstehe», sagte Kuli und fühlte sich klein, noch kleiner als ein Goldfisch.
«Das ist mein Rat», erläuterte der Blinde und schraubte seine Flasche wieder zu. «Und solange der Goldfisch in einem solchen Teich schwimmt, darf er keinem anderen Fisch vertrauen. Da ist sich jeder selbst der Nächste. Verstehen Sie? Das ist wichtig, sehr wichtig fürs eigene Überleben.»
«Nee, mach ich nicht, mach ich ja gar nicht», sagte Kuli eifrig und wollte jetzt doch sehr schnell zurück in sein Hotel.
«Wirklich?», fragte der Blinde und nahm seine Sonnenbrille ab. Dabei wurde ein weiteres Mal sein Unterarm freigelegt, sodass Kuli erneut einen Blick auf dessen Tätowierung werfen konnte. Seltsam, dachte er, wieso brauchte ein Mann, der von Geburt an blind war, ein Tattoo, der konnte das ja gar nicht sehen.
«Einen schönen Abend noch», sagte der Blinde lässig, schaute Kuli mit einer erstaunlichen Klarheit fest in die Augen, setzte die Brille wieder auf, griff in seine Jackentasche und schlenderte, ja, er schlenderte ein bisschen wie eine ältere Ausgabe von John Travolta in Schnappt Shorty über den Parkplatz zu einem der beiden parkenden Autos. Der konnte das, dachte Kuli. Ausgerechnet. Der Mann öffnete den Wagen mit einer Fernbedienung, stieg ein, startete den Motor und fuhr davon.
Kuli schaute dem Auto mit offenem Mund so lange hinterher, bis auch das letzte Rücklicht von den Nachtfarben der Stadt verschluckt worden war. Er hatte keine Ahnung von der Marke des Wagens, geschweige denn, dass er sich das Nummernschild gemerkt hätte. Aber verstanden, das hatte er. Endlich. Er stand da und öffnete abwesend das Glas mit den Wiener Würstchen. Er biss in eines hinein. Schmeckte gar nicht mal so schlecht. Es fehlte allerdings Senf. Vielleicht ging er einfach noch einmal in den Netto hinein und kaufte sich noch schnell eine Tube. Mittelscharf musste der aber sein, allerhöchstens, auf gar keinen Fall schärfer.
P aul lehnte sich zufrieden zurück. Die Pizza mit Lachs und Crème fraîche war ein Traum gewesen, Sophie Müller hatte sich als erwartet eloquent und wortreich erwiesen und den größten Teil des Gespräches alleine absolviert, was ihm sehr entgegenkam. Er stellte fest, dass er es sehr mochte, ihr zuzuhören. Ihrer direkten Art, ihrem Witz, der Geschwindigkeit ihres Denkens. Dieser Abend war ein Volltreffer, ein Sechser im Lotto, eigentlich der erste gute Abend seit … seit damals halt.
«Und du hast dem echt gesagt, er solle sich seinen Penis vor die Nase binden, wenn der denn so groß sei?», fragte Paul genüsslich und nahm einen kleinen Schluck von seinem Bier.
«Weil das von seinem Gesicht ablenken würde, genau», erwiderte Sophie. «Ich meine, was ist denn das für ein Gesprächsanfang? Ich sage, guten Tag, ich bin von Cast-An-Artist, und Sie sollen für eine Rolle vorspielen. Und er sagt, geil, Schätzchen, ich habe den größten Schwanz Hamburgs, und du wirst noch froh sein, mich kennengelernt zu haben.»
«Und da kam dann der Satz?»
«Nee, erst kam die Ohrfeige. Dann kam der Satz.»
«Und dann bist du gegangen.»
«Natürlich nicht, ich habe ihn besetzt. Als Dauergast in Gute Zeiten, Schlechte Zeiten .»
«Was für eine furchtbare Rache», sagte Paul und winkte nach
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