Schlechte Gesellschaft
Schaumschläger. Vielleicht drängten ihn nur die anderen in den Vordergrund. Vahlen hier, Vahlen da. Immer brauchten sie einen, der etwas symbolisierte, einen Wert, eine Tragweite, hinter der sie sich aufbauen konnten. Einen wie Vahlen, der ernst und ganz anders war. Der alles gelesen zu haben schien, von den französischen Existentialisten bis zu den italienischen Avantgardisten, von Goethes Briefen bis zu Gert Gellmanns neuesten Theaterstücken. Der irgendwo aus dem Schwarzwald kam und ein bisschen auch aus Amerika, wo sein Vater, der berühmte Architekt, lebte. Einer mit einer Frau, die er auf eine besitzergreifende, etwas altmodische Weise liebte. Mit Talent für das richtige Wort im richtigen Augenblick. Einer, der eigentlich viel zu schade war für die Revolution. Zumindest für diejenige, die sich immer deutlicher am Horizont abzeichnete.
Gellmann hätte Vahlen jetzt gern gepackt und ihm gesagt, er solle sich nicht verheizen lassen von der Politik. Er hätte ihm gerne von seiner eigenen Sehnsucht nach Glück erzählt. Nach einem Glück, wie er es jetzt empfand. Einem wie Vahlen es in seinem Leben mit Hella ganz selbstverständlich zu besitzen schien.
»Das ist die Art von Utopie, mit der wir weiterkommen«, sagte er stattdessen. »Während die Kapitalisten ihr Geld vermehren, während die Generäle und Kriegsverbrecher in Vietnam Orden sammeln, während die SpieÃer ihre Erbsen zählen, müssen wir denen vormachen, was es bedeutet zu leben. Hier und jetzt in Grävenwiesbach.«
»Jawohl Genosse«, brüllte Vahlen. »Dieser Augenblick in Grävenwiesbach.«
Hella kicherte.
»Sagt mal, wo fahrt ihr eigentlich hin, wenn es kein Geheimnis ist?«, fragte Gellmann nach einer Weile.
»Es ist ein Geheimnis«, sagte Hella.
»Hella hat ein Haus geerbt«, lallte Vahlen.
»Dachte ich es mir doch. Frau Hella von Nesselhahn kann ja nicht ganz mittellos sein. Nicht bei diesem Namen. Schämt euch. Ihr habt das Erbe nicht ausgeschlagen?«
»Wir wollen es uns erst einmal ansehen«, sagte Hella nun ernster. »Es ist ein altes Haus und es gehört der Familie schon lange. AuÃerdem liegt es sehr verlassen.«
»Klingt gut«, sagte Gellmann. »Klingt ziemlich gut. Ansehen schadet ja nichts. Solange es nicht Krupp oder Siemens gehört hat. Um ehrlich zu sein, ich wäre froh, wenn ich auch endlich erben würde. Dann wäre ich wenigstens sicher, dass mein Alter nicht mehr die NPD wählen kann.«
Einen Moment lang schwiegen alle. Dann mussten sie wieder kichern.
»Marmor, Stein und Eisen bricht!«, grölte Gellmann.
»Aber unsere Liebe nicht!«, fiel Vahlen ein.
»Was braucht man schon auÃer Liebe«, flüsterte Hella mit übertriebenem Pathos Richtung Sternenhimmel.
»Vielleicht ein warmes Bett für die Nacht?«, fragte Gellmann.
»Vielleicht noch ein wärmendes Gedicht«, rief Vahlen.
»Ein Gedicht!«, brüllte nun auch Gellmann.
»Ein Gedicht!«, brüllten alle zusammen, obwohl sie längst gar nicht mehr so betrunken waren.
In der Gastwirtschaft richteten sich alle Blicke auf die langhaarigen Städter, die müde und frierend in den verrauchten Saal traten. Am Tresen bestellten sie doppelten Korn und Bier. Dann baten sie um zwei Zimmer für die Nacht.
Der Mann schaute sie prüfend an. »Zwei Zimmer? Wer teilt denn da mit wem?«, fragte er angriffslustig. Vahlen wurde unruhig. Aber dann drückte Gellmann ihm unauffällig etwas Kleines, Rundes in die Hand.
»Die beiden sind verheiratet, Herr Wirt«, sagte Gellmann mit fester Stimme. »Ich bin der Bruder der Dame und hätte gern ein Einzelzimmer.«
Hella hatte den zweiten der Eloxalringe, die Gellmann wohlweislich immer bei sich trug, bereits übergestreift. Mit einem vieldeutigen Lächeln, als befände sie sich in den Flitterwochen, füllte sie den Meldezettel aus, den der Wirt ihr über den Tresen gereicht hatte.
Statisten (April 2007)
Hatte es geklopft? Wieland rieb sich die Augen. Es war dunkel, er hatte vergessen, das Licht anzumachen. Nur das grünliche Flackern des Bildschirms erhellte das Hotelzimmer. Im Fernseher stritten sich die beiden Kinder. Wieland war sicher, die Tochter würde am Ende gewinnen. Das war immer so. Schon in Vahlens Romanen waren die Frauen die Stärkeren. Aber in Villa Westerwald fungierten Männer nur noch als Statisten. Sie waren das
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