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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Abmachung bestehen würde.
    Auch Alexia schien sich für die Papiere auf dem Dachboden zu interessieren. Sie hatte Wieland kaum begrüßt, als er morgens für die Arbeit ins Haus gekommen war. Aber jetzt hockte sie im Schneidersitz unter der Dachschräge und blätterte durch handbeschriebene Karteikarten in langen Holzkästen. Das Register stammte aus dem Aurum Verlag, den Judiths Großvater mütterlicherseits gegründet hatte. Einmal, sagte Judith, habe er ihre Großmutter mehrere Monate lang hier oben eingesperrt. Alexia hatte auf die Geschichte gleichgültig reagiert, als wäre sie ihr längst bekannt. Und Wieland hatte es nicht gewagt nachzufragen, so merkwürdig erschien sie ihm.
    Auch die Ordnung auf dem Dachboden kam ihm undurchsichtig, ja fast schon unglaubwürdig vor. Allein die Unterlagen des Verlags mussten einen unschätzbaren Wert für jedes Archiv haben, aber sie waren hoffnungslos eingestaubt. Vahlens Papiere waren ebenso achtlos untergebracht, in ausgeblichenen Mappen, manchmal auch in Plastikwannen, wie Wielands Mutter sie zum Aufhängen nasser Wäsche benutzte.
    Da waren Manuskripte von Rohlich und Degenhardt, Briefe von Kühn, Fendrich und Pfaff, Handgeschriebenes, Notizen, Flugblätter. Wieland versuchte sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Der Anblick des dünnen, teilweise vergilbten Papiers, die leicht wiederzuerkennende Type von Vahlens Schreibmaschine, die mit Bleistift hingekritzelten Verbesserungen an einzelnen Wörtern und Sätzen – so etwas gab es gar nicht mehr. Sogar Gellmann hatte seine letzten Manuskripte nur noch auf Datenträgern an das Archiv gegeben. Wieland freute sich darüber, dass er in seinem Lebenslauf künftig diese Arbeit an dem Nachlass erwähnen konnte. Auchwenn das Sichten, Ordnen und Auflisten sich als aufwendiger erwies, als er es sich vorgestellt hatte.
    Â»Geschäftskorrespondenz«, sagte er zu Judith. »Und hier auch: Verlag, Literaturhaus, Verband, Akademie.« Er machte eine Pause und nahm weitere Papiere zur Hand, die er in eine der vornummerierten Mappen legte. »Ordner acht: Schulzeugnisse, Handwerkerrechnungen, Briefe der Kinder und der Eltern, nennen wir es ›Privates‹«. Er versuchte Judith gewinnend anzulächeln. Wieder musste er husten. »Hier etwas anderes, Ordner neun: Hörspiele. Wahrscheinlich in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Rundfunk. Dieses ist offenbar von Kühn. Und hier eins von Gellmann. Das kenne ich. ›Der Sohn des Industriellen von Thronheim‹. Ein tolles Stück. Es wäre mir lieb, wenn wir Gellmann gleich separat angelegt ließen. Ist Ihnen das recht?«
    Â»Natürlich, Herr Doktor«, lächelte Judith.
    Er betrachtete ihr hübsches, im Halbdunkel des Dachbodens leuchtendes Gesicht. Machte sie sich über ihn lustig? Judith trug ein langärmeliges Baumwollkleid. Ihr Haar war mit einer Spange hochgesteckt. Wieder hatte sie einen Schal um die Schultern gelegt, mit dem sie ihre Behinderung verdeckte.
    Â»Sind Sie sicher, dass Ihre Mutter nichts dagegen hat, dass wir hier sind? Wo ist sie eigentlich?«, fragte er aus einer plötzlichen Unruhe heraus.
    Judith lachte. »Hella hat eine Besprechung mit Reinier Westphal, dem Produzenten von Villa Westerwald . Wahrscheinlich in dessen Haus in Köln, vielleicht auch in Italien.«
    Â»Sie denken also, sie ist einverstanden?«
    Â»Ich musste ihr versprechen, dass Sie nichts mitnehmen.«
    Â»Das ist alles? Warum war sie dann zuerst dagegen, dass ich die Sachen sehe?«
    Â»Meine Mutter hat schlechte Erfahrungen gemacht.«
    Es klang, als wolle Judith nicht weiter darauf eingehen.
    Â»Stimmt es, dass nie jemand den Nachlass durchgesehen hat? Was ist mit den Archiven?«
    Â»Sie melden sich immer mal wieder. Aber die wissen genau, dass sie nur abwarten müssen. Spätestens, wenn wir alle tot sind, bekommen sie die Sachen ohnehin. Sehen Sie mal.«
    Sie hielt ihm ein Gedichtmanuskript hin, auf dessen Rückseite eine Kinderzeichnung war. »Judith« stand in krakeliger Schrift darunter geschrieben.
    Wieland lächelte. Aber nach einer Pause, die er für angemessen hielt, sagte er: »Es ist unvorstellbar, wie viele Nachlässe durch Wasserrohrbrüche, Feuer oder allein durch Umzüge verloren gehen. Mir scheint es doch das Beste, wenn wichtige Papiere in Archiven geordnet, sachgemäß gelagert und vollständig

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