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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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abzusetzen. Vahlen hatte ihm noch vor dem Frühstück angeboten, für ein paar Tage mitzukommen. Und es hatte ausgesehen,als freue er sich nun tatsächlich über die Anwesenheit eines Zuschauers, eines neutralen Dritten bei ihrer Inbesitznahme des Hauses.
    Gellmann dachte an Vahlens fahriges Gehabe zu Beginn der Fahrt und an Hellas fast überhebliche Verschwiegenheit. Das Erbe schien für Hella eine Belastung zu sein. Als würde sie etwas einholen, eine begraben geglaubte Erinnerung, eine unangenehme Geschichte. Oder war es nur das, was die meisten von ihnen fühlten, wenn sie an ihre Eltern dachten? Schließlich ging es um Nazis, bestenfalls um Mitläufer. Sie saßen, wie ein Großteil der Verbrecher, noch immer an den Schaltstellen oder zumindest auf ihren bequemen Couchgarnituren. Sie verlangten von der Politik nichts weiter als Ruhe und Ordnung. Sie faselten davon, wie schwer sie es gehabt hatten, und dass die Kinder es besser haben sollten. Aber in Wirklichkeit gönnten sie ihnen nichts. Nicht einmal den Kuppeleiparagraphen wollten sie abschaffen.
    Gellmann selbst kam aus einer Akademiker-Familie. Sein Vater war autoritär. Ein echtes Arschloch. Die Uniformjacke des Großvaters und seine eigene hingen noch immer im Schlafzimmerschrank. Ob er wirklich die NPD gewählt hatte, wusste Gellmann nicht mit Sicherheit. Genau wie alle anderen beschwerte er sich häufig und lauthals über seine Eltern. Aber wenn Gellmann ehrlich war, hatten sie ihn nie daran gehindert, seinen eigenen Weg zu gehen. Und seinen Nazi-Onkel konnten sie genauso wenig ausstehen wie er.
    Vielleicht war Hellas Geschichte doch komplizierter. Auf jeden Fall wirkte sie um einiges interessanter. Hella schaute ihn über ihre Kaffeetasse hinweg an. Ihre offensichtliche Verletzbarkeit, ihre Erwartungen an diese Freundschaft, ihre Schönheit beschämten Gellmann. Der Wunsch, sie anzufassen und mit ihr ins Bett zu gehen, wirkte plötzlich banal und egoistisch auf ihn.
    Nach dem Frühstück kümmerte Vahlen sich in seiner ruhigen Art, die in nichts an die Ausbrüche des Vortages erinnerte, um die Beschaffung eines Ersatzreifens. Gellmann gefiel die Vorstellung, die Kneipen, Demos und Diskussionen für eine Weile hinter sich zulassen. Mit Vahlen könnte die eine oder andere Zusammenarbeit entstehen. Vielleicht würden sie tatsächlich Freunde.
    Sie erreichten Sehlscheid, als das warme Nachmittagslicht schon in Dämmern übergegangen war. Allen dreien war etwas übel geworden von den kurvigen Straßen. Noch immer ein wenig verkatert überkam sie angesichts der Schönheit der Gegend und der Trostlosigkeit der verputzten Häuser eine beinah hysterische Fröhlichkeit. Als Vahlen sagte, er sei in dem Ort aufgewachsen, bevor er nach Amerika ging, hielt Gellmann das zuerst für einen Scherz. Das Haus seiner Mutter hatten sie vor langer Zeit abgerissen, erzählte er. Es gab nur noch eine Tante mit einem Gasthaus und ein paar entfernte Verwandte.
    Wenige Kilometer nach dem Ortsschild bogen sie von der Landstraße in eine Auffahrt ein. Als der Wagen auf dem Kiesweg zum Stehen kam, wurde Gellmann einiges klar. Hellas Haus war wie der Traum von einem Haus. Eine heruntergekommene Fabrikanten-Villa umgeben von Laubwäldern, Hügeln und einem Bach. Der Garten war im vorderen Teil mit alten Blutbuchen und Eichen bepflanzt, weiter hinten standen Kirsch- und Apfelbäume.
    Vahlen stieg aus. Mit den Beinen aufstampfend, die Arme in Dehnungsübungen wild um sich schleudernd, johlte er in den Himmel. Gellmann griff sich Hellas Mütze, und sie verfolgte ihn lachend über die Wiese. Sie kamen erst zurück zum Auto, als Vahlen sie mit gespielter Empörung zu sich rief.
    Das Haus mit seinen ausgeblichenen Farben war heruntergekommen. Der Putz an der Fassade bildete Wellen. Das Dach hing an einigen Stellen durch, Schieferplatten waren zu Boden gefallen, einzelne Fensterläden fehlten. Am hinteren Teil rostete ein mit kaputten Gartenmöbeln verstellter Wintergarten vor sich hin.
    Â»Rosebud«, sagte Gellmann, als sie die Treppe zum Eingang hinauftraten. Vahlen lachte, und Hella – plötzlich ernst geworden – lächelte immerhin. Der Schlüssel passte, die schwere Tür öffnete sich.
    Das hereinfallende Abendlicht erhellte die Räume nur teilweise.Dunkler Staub lag auf den Wandvorsprüngen und bedeckte die Handläufe der Treppe. Im hinteren Teil der

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