Schlechte Gesellschaft
etwas schwierig â¦Â«
»Ja ja, so ist sie.«
Wieland zögerte, mehr zu erzählen. Ihm war klar, dass der Dramatiker nicht ehrlich mit ihm gewesen war, obwohl er durchaus vorhatte, von Wielands Arbeit zu profitieren. Nicht einmal von Judith hatte er ihm erzählt. Aber was immer Gellmann auch plante, er wusste über Vahlen besser Bescheid als irgendjemand sonst. Wenn überhaupt, dann könnte nur er Wieland helfen.
»Frau Gellmann-Vahlen möchte, dass ich die Herausgabe des Manuskripts übernehme und es bearbeite«, sagte er. »Ich weià nur nicht genau, wie weit man bei so einer Sache gehen kann.«
»Sie will, dass du es zu Ende bringst? Na, das ist doch eine schöne Sache!«
Er räusperte sich. »Bin ich denn der Richtige? Sollte nicht lieber jemand wie Sie â¦Â«
»Ich? Judith hasst mich. Und Hella hasst mich noch mehr.«
»Aber ich bin Wissenschaftler.«
»Junge, hier geht es um moderne Literatur und nicht um antike Alexandriner. Das musst du nicht so ernst nehmen. Da kannst du Punkt und Komma setzen, wie du lustig bist. Mit einem Fragment ist den Vahlen-Frauen nicht geholfen. Was die brauchen, ist ein weiteres Drehbuch. Bei der Serie klingelt, soweit ich gehört habe, doch ordentlich die Kasse.«
Hatte Gellmann recht? Ging es um Geld?
»Und warum bearbeiten die Vahlens es nicht selbst?«
»Warum Hella es nicht tut oder nicht längst getan hat, weià ich nicht. Frag sie. Judith kann es nicht. Sie ist eine gute Ãbersetzerin. Aber sie hat kein Durchhaltevermögen. So was braucht Zeit und Ausdauer. Und auÃerdem bekommt sie keine einzige Zeile aufs Papier, wenn es leer ist. Jawohl, Wieland. Das kann nicht jeder.« Gellmann schien das Gespräch beenden zu wollen. »Aber du kannst es ja. Wann kommt mein Buch, sagst du?«
Das Hungermaul (Dezember 1918)
Selbst in eisiger Kälte brachte Albert Kehl seine Hunde auf den Tennisplatz am Hahn. Abwechselnd lieà er sie auf dem mit Unkraut bewachsenen Gelände bei Fuà gehen, apportieren, niederhocken und aufspringen. Er gab ruckartige Zeichen, nur selten hörte man ihn Befehle erteilen. Und gelegentlich sahen Vorbeigehende, wie er angesichts eines Zögerns, der zu langsam einsetzenden Folgsamkeit eines der Tiere, in eine kalte, mechanisch zuschlagende Wut abglitt.
Die meisten Menschen im Dorf wollten nichts mit dem Sohn des Kolonialwarenhändlers zu tun haben. Sie scheuten seinen immer ein wenig beleidigt wirkenden Gesichtsausdruck, die meckernde Stimme, die Rohheit seiner Ausbrüche. Aber nie war ganz klar, ob es nicht der junge Kehl selbst war, der die anderen mied. Erst als ihn das Rekruten-Amt in Koblenz trotz der Lage an der Front dauerhaft freistellte und er, noch während des gröÃten Mangels an Arbeitskräften auch bei Hingst und in den Fockenbachwerken keine Anstellung bekam, begann man einen echten Fehler bei dem jungen Mann zu vermuten. Dabei wirkte Albert Kehl weder krank noch geistig verwirrt. Man sah ihn mit dem Schwager aus Irlich die Ferkel kastrieren, immer Freitags verpackte, sortierte und kennzeichnete er die Waren im Lager seines Vaters und ansonsten strich er scheinbar ziellos mit den Hunden durch die Wälder. Einmal hatte er nachts mit seinen Tieren eine ganze Bande von Plünderern gefangen und hielt sie fest, bis man sie am nächsten Tag in Arlich der Polizei übergab. Seitdem wagte es im Dorf niemand mehr, das seltsame Treiben des jungen Kehl in Frage zu stellen.
An diesem Dezembertag war er auf dem Hahn damit beschäftigt, einen jungen Mischling mit dem Knüppel zu strafen, als am Waldrand im Dämmerlicht das Gesicht eines Soldaten in amerikanischer Uniform auftauchte. Der Fremde erschrak über die unvorhergesehene Begegnung. Kehl dagegen regte sich kaum, als einer seiner Schäferhunde auf den Mann zustürzte. Der Soldat war aus den Büschen hervorgetreten und rief etwas, das Kehl unverständlichblieb. Dann zückte der Amerikaner ein Messer, und noch bevor das Tier seinen Arm packen konnte, stach er zu, und es sackte leblos zu Boden.
Der Mischlingswelpe, den Kehl gerade noch geschlagen hatte, drückte sich winselnd an die Beine seines Herrn. Kehl gab ihm einen kurzen, festen Tritt.
Wenige Augenblicke später war das Motorengeräusch der amerikanischen Wagen im gesamten Aulbachtal zu hören. Die Reifen der Gefährte sanken in den nur mit einer dünnen Frostschicht überzogenen Boden der
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