Schlechte Gesellschaft
denn deine groÃen Brüder?« Er tat einen Schritt auf sie zu. »Ich komm, um dir deine Kinder wegzunehmen«, zischte er. Dann drehte er sich um und war wieder weg.
Erst jetzt sah Martha die hagere, fahlhäutige Frau vor der Stalltür stehen. Während die Städterin sagte, sie käme, um Doris abzuholen, fiel der Schrecken über Kehls plötzliches Auftauchen von Martha ab. Möglichst freundlich begann sie, der Fremden von Doris zu erzählen, davon, wie das Mädchen gewachsen war, und wie gern es alle hatten. »Und Hagis erst«, sagte sie. »Den Kleinen werden Sie kaum wiedererkennen.«
Die Frau sah sie stumm an, während Martha das Euter der Ziege mit Fett einrieb. Dann erst fragte die Fremde, ob sie Doris sehen dürfe.
Martha fing sich sofort. »Natürlich. Kommen Sie. Doris wird gleich zurück sein. Sie ist mit meiner Mutter in den Wald zum Holz holen gegangen. Aber Hagis ist ja da.«
Drinnen in der Küche des Haupthauses häkelte die alte Vahlen an einem Wolljäckchen für die Jungen. Hagis und Heinrich saÃen zu ihren FüÃen und bewarfen Schnapp mit Kastanien.
»Frau Kind ist gekommen«, sagte Martha beim Eintreten in einem möglichst sanften Tonfall. Aber sofort begann Irma mit ihremschlimmen, in der Mundart nur schwer verständlichem Geschimpfe, und Martha war froh, als die Alte ihr Häkelzeug auf die Bank legte, sich mit steifem Rücken erhob und endlich den Raum verlieÃ.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte Martha. Sie hatte Tränen in den Augen. »Das ist Heinrich, mein Neffe. Und da ist auch Ihr Hagis.«
Sie sah, wie die fremde Frau mit groÃer Gier das frische Roggenbrot anstarrte, das auf dem Küchentisch lag. Die Kinder würdigte sie keines Blickes.
»Er erkennt Sie nicht wieder«, sagte Martha, als auch Hagis weiterhin Kastanien über den Boden rollte. »Er war ja noch so klein, als er Sie verlassen hat.«
»Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor«, sagte die Frau. »Ich heiÃe Benning. Ich komme wegen Doris.«
»Ja, aber Hagis?«, fragte Martha erstaunt.
»Ich kenne den Jungen nicht«, antwortete die Frau ungerührt.
»Aber das ist Dorisâ Bruder, Hagis Kind«, sagte Martha, als könne sie die Dinge richtig stellen.
»Doris ist mein einziges Kind.«
In diesem Moment kam die Alte zurück in das Zimmer gestürmt. In der Hand hielt sie ein Papier, mit dem sie in der Luft herumwedelte. Dorisâ Mutter musste sich davon überzeugen, dass der Name des Jungen darauf gleich unter dem des Mädchens stand. In dem Feld »Familienname« war bei Doris »Kind« eingetragen und bei Hans Gisbert ein schlichtes GänsefüÃchen als Platzhalter. Zufrieden hielt Irma auch Martha den Zettel vor das Gesicht.
»Das muss ein Fehler beim Amt gewesen sein«, rief sie. »Wenn Hagis nicht Ihr Sohn ist, bleibt er natürlich bei uns.« Selten hatte Martha ihre GroÃmutter so erregt gesehen.
Als Doris wenig später mit Kläre die Stube betrat, begann das Mädchen beim Anblick ihrer Mutter heftig zu weinen. Auch Frau Benning wirkte mitgenommen. In schweigendem Einverständnis packten die Witwen einen Korb mit Mehl, Eiern, Brot und Eingemachtemfür das Mädchen zusammen. Kläre blieb noch lange in der Tür stehen, bis erst Doris und dann auch ihre Mutter auf dem abschüssigen Weg die Hüh hinunter nicht mehr zu erkennen waren. Irma und Martha sahen ihr Gesicht blank und wie mürbe werden. SchlieÃlich sagte Kläre, sie müsse noch das Brennholz stapeln, und ging zögerlich, mit einem leicht zur Seite gebogenen Rücken, den Martha an ihrer Mutter bisher nie bemerkt hatte, in Richtung der Scheune.
Während die Alte Vahlen es gar nicht erstaunlich finden wollte, dass Doris und Hans Gisbert mit einem falschen Familiennamen bei ihnen untergebracht worden waren, lief die Witwe Kläre am nächsten Tag mit ihrem Hungermaul an der Hand ins Dorf, um den Gemeindevorsteher Linde davon in Kenntnis zu setzen. Bereits früh am Morgen roch es in den Räumen der Militärverwaltung nach gebratenem Geflügel. Der amerikanische Offizier war nicht zu sehen. Sein Dolmetscher, ein gewisser Meyer, der mit dem Gemeindevorsteher das Vorzimmer teilte, schien nur mit halbem Ohr zuzuhören. Der Gemeindevorsteher Linde, der mit Kläre die Dorfschule besucht hatte, lieà sich die Geschichte dagegen gleich mehrfach
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