Schlechte Gesellschaft
meisten Bewohner einig, würde sich so schnell nichts ändern.
Das kann nicht jeder (April 2007)
Wieland warf sich auf das Bett, zog die Decke bis zum Kinn und starrte auf das stummgeschaltete Fernsehbild. Die Nachrichten wurden verlesen. Bilder der Kämpfe in Afghanistan flackerten über den Fernsehschirm. Sie zeigten einen Mann im Krankenhaus, dem ein Geschoà Arme und Beine weggerissen hatte. Die weiÃbandagierten Stümpfe sahen aus wie angeklebt an seinem dunklen, von Brandflecken überzogenen Körper. Er blickte ängstlich in die Kamera.Die Frau neben seinem Bett hatte den Mund aufgerissen, sie hob ihre Hände vor das Gesicht. Danach sah man Panzer über staubige Pisten rollen. Internationale Politiker stiegen auf eine Bühne vor blauem Hintergrund.
Schon nach einem halben Tag im Hotel begann Wieland, Judith zu vermissen. Er wusste immer noch nicht, wie er mit ihrer Behinderung umgehen sollte, und fragte sich, wann sein Bedürfnis nachlassen würde, sie zu beschützen. Dann wieder schien es ihm, als reiche es abzuwarten, und alles würde sich wie von selbst ergeben.
Sein Vater hätte ihn für eine behinderte Frau wahrscheinlich verachtet. So einfach Jürgen Wieland es sich im Leben gemacht hatte, so streng war er mit seinem Sohn gewesen. Nichts, was Wieland gerne tat, hatte er je gut geheiÃen.
Seine Mutter würde etwas ironisch sagen: »Wo die Liebe hinfällt.« Und dann würde sie hinzufügen: »Hauptsache, es ist nicht erblich.«
Wieland musste lachen. Allein die Vorstellung, er würde mit Judith Gellmann-Vahlen eine Familie gründen, erschien ihm komisch. Sie hatten sich ja gerade erst kennen gelernt.
Er drückte den Knopf der Fernbedienung. Anstelle des Politikers erschien das Testbild des DVD-Spielers auf dem Bildschirm, dann augenblicklich die Szene der Folge, in der er vor nicht einmal zwei Wochen von Judith unterbrochen worden war. Die Gesichter waren ihm fremd, wie einem nur alte Freunde nach längerer Abwesenheit fremd werden können. Die Jugendliebe der Witwe Krieger, ein freundlicher älterer Herr, der zu glattgekämmt und zu braungebrannt war, um als Dorfbewohner überzeugend zu sein, schloss für immer seinen Gasthof. Die Alte selbst veranlasste gerade, dass einer ihrer Mitarbeiter, der sie betrogen hatte, in eine psychiatrische Klinik eingeliefert würde. In der folgenden Szene lag der junge Mann mit der Tochter im Bett. Ein Wagen mit Sanitätern fuhr bei der Villa vor. Als es an der Tür klopfte, sah man das schöne Paar in GroÃaufnahme. Mit fragendem Blick schauten die beiden in die Kamera.
In diesem Moment klingelte Wielands Handy. Zögernd griff er nach dem Telefon.
»Wieland? Hier ist Gellmann.«
»Herr Gellmann. Was für eine Ãberraschung.«
»Wie läuft es denn so? Was macht die Wissenschaft?«
»Stellen Sie sich vor, ich bin in Sehlscheid im Westerwald bei den Vahlens.«
»Was du nicht sagst. Im Westerwald. Wie geht es den Vahlen-Frauen?«
»Ich denke, es geht ihnen gut. Sie sind beschäftigt. Frau Vahlen meine ich. Und Judith, ich meine Frau Gellmann-Vahlen â ich wusste gar nicht, dass Sie mit ihr verheiratet waren.«
»Jaja. Ist schon eine Weile her. Und Alexia?«
»Alexia ist prima. Eine echte Schönheit. Sie sollten sie sehen.«
»Ganz klar. Aber deshalb rufe ich nicht an. Ich wollte wissen, wann mein Buch kommt.«
»Ihr Buch â«, Wieland brauchte einen Moment, um zu verstehen, was Gellmann meinte. Seine Doktorarbeit war also zu Gellmanns Buch geworden. »Ich habe neues Material. Einige sehr schöne Briefe an Peter Vahlen sind dabei. Ich hätte noch Fragen an Sie, wenn ich alles genau durchgesehen habe. Die Arbeit soll im Herbst fertig werden. Der Verlag plant für das späte Frühjahr. â Nur«, Wieland überlegte, ob er Gellmann einbeziehen sollte. »Es ist etwas dazwischen gekommen. Ich habe Vahlens Nachlass gesichtet, wegen Ihrer Briefe, und da habe ich, ich meine wir, Judith und ich, haben etwas gefunden.«
»Ist nicht wahr. Hatte Vahlen noch was? Einen Roman? Gedichte?«
»Ein Romanmanuskript. Eher ein Fragment.«
»ScheiÃe auch.«
»Die Frage ist, was damit geschehen soll.«
»Die Vahlen-Frauen sind doch nicht auf den Kopf gefallen. Denen fällt schon was ein. Ich müsste das erst sehen, um es beurteilen zu können.«
»Es ist so, mit Hella Vahlen war es
Weitere Kostenlose Bücher