Schlechte Gesellschaft
regelmäÃige Tackern seiner inzwischenelektrischen Schreibmaschine im Haus. Sie fragte Vahlen nicht, woran er arbeitete. Ihre frühere Verbundenheit mit seinen Texten lieà sich kaum mehr herstellen. Und es schien ihr auch unwichtig, solange er nur nicht mehr ständig an Judith und Gellmann dachte.
Oft wirkte sein Arbeiten auf Hella wie ein Wüten. Als gälte es, nach langem Stillstand endlich voranzukommen. Sie glaubte, wenn Vahlen jünger gewesen wäre, hätte er vielleicht tatsächlich von vorne angefangen. So aber war sein Weiterschreiben kein Neubeginn, sondern eine Fortsetzung unter neuen Vorzeichen. Einmal sagte er ihr beim Abendbrot, die früheren Ansätze, seine selbstgerechte Kritik am Zustand der Welt, interessiere ihn nicht mehr. Es könne nicht darum gehen, der Geschichte auf die Spur zu kommen. Vielmehr wolle er sie jetzt bewahren, ihr Bedeutung verleihen. Hella hatte geglaubt zu verstehen, was er meinte. Vahlens Worte beruhigten sie, weil sie dachte, auch er fürchte sich vor dem Verschwinden.
Trotz der stummen Entfernung, die mit den Jahren zwischen Vahlen und ihr entstanden war, spürte Hella eine Sehnsucht nach Nähe. Die Zeit in Berlin, Amerika, der Tod ihrer Mutter, die Schwierigkeiten mit Judith und mit dem Haus, zu oft hatten sie ihre Verbundenheit auf die Probe gestellt, als dass sie noch selbstverständlich wäre. Manchmal glaubte Hella, es könne von einem Tag auf den anderen alles vorbei sein. Die täglichen Ãbel und kleinen Katastrophen, zu denen für sie bald auch Judiths Weggang zählte, waren letztlich bedeutungslos. Aber Hellas Angst, allein zurückzubleiben, wie damals, als ihre Mutter Selbstmord begangen hatte, hielt an.
Der Arzt hatte bei Marthas Tod von einer Kurzschlussreaktion nach jahrelanger Depression gesprochen. Aber Hella gefiel der Gedanke, ihre Mutter habe mit dieser letzten Handlung die Kontrolle über ihr Leben behalten wollen.
In Hellas Erinnerung saà Martha sehr aufrecht und schmal in ihrem Sessel am Fenster der Kölner Wohnung. Hella hatte die ungewöhnliche Schönheit ihrer Mutter immer bewundert und auch den Mut, mit dem sie dem Leben entgegentrat. Erst spät war ihraufgefallen, dass Martha ihren Kindern nicht mehr als beiläufige Zärtlichkeiten entgegenbrachte. Nur ihren Sohn Karl hatte sie immer verteidigt. Karl und Emilie waren früh aus dem Haus gegangen. Vielleicht hatte sich Hella als einzige nach einer Familie gesehnt. Richard von Nesselhahn blieb mit seinem Geld und groÃzügigen Geschenken sein Leben lang in Rufweite. Aber seine Annäherungsversuche wehrte Martha wie die aller anderen Männer ab. Und trotz der vielen Freundinnen hatte ihre Mutter auf Hella zuletzt einsam gewirkt.
Einmal hatte Judith Hella unterstellt, sie schäme sich für Marthas Tod. Hella hatte nicht gewusst, was sie entgegnen sollte. Vielleicht hatte Judith sogar recht. Aber jedes Mal, wenn sie an ihre Mutter dachte, störte sie vor allem die Vorstellung, andere könnten Marthas Entscheidung im Nachhinein ins Unrecht setzen. Wahrscheinlich hielt Judith Hella auf ähnliche Weise für einsam. Dabei fühlte sie sich stark, wie sie hoffte, dass Martha stark gewesen war.
Die Stille auf dem Land, die ihr früher oft feindlich erschienen war, wirkte schon lange wohltuend auf Hella. Das Haus, das Grundstück, der Garten und die Schafe erforderten ihre ständige Aufmerksamkeit. Und je mehr Hella über die Reparaturen, die Tierarztrechnungen und das mühsame Beschneiden der Rosen und Apfelbäume ins Schimpfen geriet, desto mehr, meinte sie, verwachse ihr Leben mit dem Tal.
Morgens ging sie oft hinunter zum Wiesenbach, um nach den Schafen zu sehen, die dort friedlich beieinander standen wie in einem alten Kinderlied. Eins der Lämmer war im Winter eingegangen. Aber das andere war kräftig herangewachsen. Wenn sie sich zu der kleinen Herde ins Gras setzte, blickte das Mutterschaf mit sanften Augen zu ihr herüber. Auch der Bock kam beim Weiden in immer enger werdenden Kreisen näher. An regnerischen Tagen schienen die Hügelkuppen mit dem Himmel zu verschwimmen, und trübes Licht tauchte die bewaldeten Höhen in leicht konturierte Farben. Eine ungekannte Ruhe breitete sich in ihr aus.
Bald drei Jahre waren vergangen, seit Hella zuletzt Judiths Stimmegehört hatte. Sie stehe am Bahnhof von Arlich, sagte sie am Telefon, ob Hella sie abholen könnte, sie habe kein
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