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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Geld.
    Als Hella mit ihrer Tochter ins Haus trat, stand Vahlen in der Mitte des Wohnzimmers. Er wirkte unsicher, wie gealtert. Er habe gekocht, sagte er, Kalbsbraten. Sie esse kein Kalb, sagte Judith. Fleisch ja, aber kein Kalb. Schon gut, sie werde das Gemüse essen. Keinen Wein.
    Hella sah ihre Tochter, die während der Fahrt schweigend neben ihr gesessen hatte, zum ersten Mal genauer an. Die Kindlichkeit, aber auch die Sicherheit waren aus ihrem Blick verschwunden. Judith hatte Gellmann verlassen. Er hatte sie offenbar aufhalten wollen. Ihre Jacke, ein helles, dünnes Stück Stoff, war am Kragen eingerissen. Ein seltsam intimes Detail, das Hella an ihrer Tochter lieber nicht bemerkt hätte.
    Mit der Gabel schob Judith die Bohnen auf ihrem Teller hin und her. Dann gab sie einen kurzen, nur hingemurmelten Satz von sich, den Hella aber sofort verstand.
    Vahlen kaute, sah auf, kaute weiter. »Wie bitte?«, fragte er.
    Â»Ich bin schwanger«, wiederholte Judith.
Amtshilfe (September 1940)
    Von der Talwiese aus, wo Brinks Mädchen an diesem Abend die Gänse mit Abfällen fütterten, sahen sie im Unterlaub der Haselsträucher, wie ein Leuchten im schwächer werdenden Licht, einen nackten Arm. Die Regenfälle der letzten Wochen hatten das Gras am Fuß der Hüh hochschießen lassen, und doch zeigten sich die Spuren des Kampfes überall im aufgeweichten Grund. Tiefer im Dickicht erblickten die Mädchen den Körper einer Frau. Ihr schwarzer Kittel, an dem sie gleich die Vahlen-Witwe erkannten, war eingerissen, die Falten ihres Bauches lagen offen, an mehreren Stellen trat schwarzverklumpt ihr Inneres hervor.
    Kläre Vahlens Beine blieben merkwürdig verdreht, als die herbeigeholten Männer sie unter den Sträuchern hervorzogen. Erst jetzt war ihr Gesicht zu sehen, die Augen zugeschwollen, der blutige Mund wie verrutscht. Nur die Stirn erschien Hermann, der endlich auch die Melsbacher Hohl erreichte, unbeschädigt. Im Licht der Laternen zeichnete sie sich als ebenmäßiger Halbmond unter dem Haaransatz ab. Schon in diesem Augenblick war es gewesen, als lösche das Bild der Toten alle seine Erinnerungen an die Mutter unwiederbringlich aus.
    Hermann Vahlen rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Seine Finger erschienen ihm gedunsen, wie etwas Fremdes, das noch über den Kuppen angebracht war. Zum vierten Mal spannte er ein Blatt in die Schreibmaschine.
    Â»Verehrte Parteigenossen«, begann er. »Gestatten Sie mir den Hinweis auf die moralische Unzuverlässigkeit des Verwaltungsangestellten Kehl, Albert, gemeldet in Sehlscheid bei Arlich, Gau Koblenz-Trier.«
    Hermann zerrte an seinem Kragen. Er fragte sich, wie es so weit hatte kommen können. Hatte er Recht und Moral nicht immer als das Höchste begriffen? Und trotzdem fühlte er sich schuldig. Er hatte Kehl zum Amtshelfer ernannt. Er hatte es zugelassen, es sogar begrüßt, dass auch schwierige Fragen ohne sein Zutun geregelt wurden.
    Seit Hermanns Wahl in den Vorsitz hatte seine Frau Emmy kaum noch mit ihm gesprochen. Doch obwohl Hermann sich von ihr alleingelassen fühlte, überhaupt seit langem meinte, ganz allein zu sein, unverstanden und vielleicht tatsächlich auf dem falschen Weg, hatte er nicht die Kraft aufgebracht, und schon gar nicht den Mut, die einmal eingeschlagene Richtung zu ändern. Was im Land geschah, war ihm bedeutender erschienen als seine persönlichen Schwierigkeiten und wichtiger als der kleine Ort, in dem sie lebten. Wie ein Unwetter war die neue Zeit über Sehlscheid hinweggegangen. Nichts war mehr wie zuvor. Und Hermann hatte den Verdacht, dass er selbst dieses Unwetter am meisten herbeigewünscht hatte.
    Noch immer hätte er sein Land gern gesehen, wo der Führer es hinbringen wollte. Aber die Siegesnachrichten von allen Fronten, die Parolen der Partei bewegten ihn kaum mehr. Wenn er an manchen Abenden an seinem Schreibtisch die Post erledigte, Berge von Verwaltungsschreiben, Inkenntnissetzungen, Willens- und Treuebekundungen an die Gauleitung, die Kameraden vom Reichsnährstand, die Geheime Staatspolizei, dann dachte Hermann, dass er eigentlich lieber wie früher mit Emmy und den Kindern zu Hause sein würde. Wenn er nur einen Wunsch erfüllt bekommen sollte, dann würde er wollen, dass alles mit einem Schlag aufhörte. Es wäre ein Aufwachen, ein Augenreiben, und seine Mutter Kläre säße wieder in ihrer Stube, die

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