Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
zugetragen hat, dann war diese kleine kontrollierte Studie eine der erfolgreichsten in der Medizingeschichte.
Zu solch schnellen und eindeutigen Ergebnissen kommt man, wenn der Zusammenhang eindeutig und folgenreich ist.Viel schwieriger wird es jedoch, wenn die vermuteten Behandlungserfolge einerTherapie nicht so großartig ausfallen wie die Heilung von Skorbut durch Zitronensaft. Und besonders schwierig wird es, wenn der vermutete Erfolg einer Behandlung erst 20Jahre später erwartet werden kann. Um dieWirksamkeit einesTherapieansatzes in solch einem Fall zu belegen, muss man einen ungleich größeren Aufwand betreiben.
Wozu Statistik?
Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Dieses bekannte Totschlagargument höre ich oft, wenn ich versuche, einen Sachverhalt mit statistischen Wahrscheinlichkeiten zu begründen. Es drückt Resignation aus, so als könne man Statistiken sowieso nicht trauen, weil sich jeder seine eigene zurechtzimmert, wie es ihm gerade passt. Und Statistik ist auch der Erzfeind jeder Talkshow, denn sie lässt Langeweile befürchten, der Zuschauer zappt weg, und die Quote sinkt. Dabei ist Statistik der Schlüssel zum Verständnis von schlechter Medizin. Sie ist die Waffe, mit der, wenn sie in falsche Hände gerät, Millionen falsche Behandlungen täglich durchgesetzt werden, obwohl, wenn man sie korrekt anwenden würde, genau das Gegenteil richtig wäre. Denn wer die Deutungshoheit über die großen medizinischen Studien besitzt, hat die Macht, über Therapien zu entscheiden.
Wenn man Blutdrucktabletten verschreibt in der Hoffnung, sie könnten verhindern, dass der Patient in 20Jahren einen Herzinfarkt erleidet, ist dieWirksamkeit derTherapie auch für den Arzt schwer zu beurteilen. Oder wie kann ich wissen, ob die Empfehlung, mehr Gemüse zu essen, tatsächlich zu weniger Krebs im späteren Leben führt? Jeder Mensch ist Experte darin, festzustellen, ob es ihm direkt nach einer medizinischen Maßnahme besser oder schlechter geht. Ob sie ihm aber eine gute Gesundheit auch noch in 20Jahren sichert, übersteigt die Urteilskraft des Einzelnen. Er weiß ja nicht, wie es ihm gehen würde, hätte er vor 20Jahren gar keineTherapie durchgeführt. Um das sagen zu können, brauchen wir spezielle Methoden, wie sie die Regeln der statistischenWahrscheinlichkeitsrechnung an die Hand geben. Sie geben uns die Möglichkeit zu entscheiden, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht.Werden sie jedoch unsachgemäß gehandhabt, sind Manipulationen in alle RichtungenTür undTor geöffnet, und oberflächliche Experten können dann alles, was sie nur wollen, » wissenschaftlich beweisen « .
Zunächst sollte man wissen, was man messen möchte. Dafür braucht man eine gute Idee, eineVorstellung davon, welcheTherapie geeignet sein könnte. Gute Ideen entstehen aus Beobachtungen heraus, wie sie oft aufmerksamen Praktikern auffallen.Vielleicht hatte James Lind beobachtet, dass die gängigenTherapien gegen Skorbut unterschiedlich gut wirkten.Aus einer solchen Beobachtung heraus entsteht die gute Idee, und daraus formuliert man eine Hypothese, zum Beispiel, dass Zitronensaft vor Skorbut schützt. Solche Beobachtungen haben etwas von einem Geistesblitz, der aber inWirklichkeit nicht auf einen Schlag entsteht, sondern sich anhand unzähliger kleiner Erfahrungen unbewusst entwickelt, bevor er dann in die bewussteWahrnehmung verschoben wird. Eine fantastische Leistung unseres Gehirns, die wir uns später noch genauer anschauen werden.
Eine andere Möglichkeit, Beobachtungen zu machen, aus denen sich Hypothesen entwickeln lassen, sind Experimente. Man tröpfelt zum BeispielVitamin A auf eine Kultur mit Krebszellen und kann dann beobachteten, dassVitamin A Krebszellen amWachstum hindert. Daraus entwickelt man die Hypothese, dassVitamin A vor Krebs schützt. Oder man entdeckt Cholesterin in den Ablagerungen in den Blutgefäßen und entwickelt die Hypothese, dass cholesterinsenkende Medikamente vor Gefäßablagerungen schützen.
Es gibt noch einen drittenWeg, um Beobachtungen zu sammeln, aus denen sich eine Hypothese formulieren lässt. Er ist problematisch, weil er sich nicht auf Erfahrung oder Experimente stützt. Seine Basis ist die Interpretation sehr großer Datenmengen. Dies ist die Domäne eines besonderen Fachgebietes medizinischer Statistik, der Epidemiologie. Die Epidemiologie beschäftigt sich mit derVerteilung von Krankheiten in der Bevölkerung und den Faktoren, die sie beeinflussen. Zu
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