Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
dafür ist die lange Zeit übliche Praxis der totalen Entfernung der weiblichen Brust nach der Diagnose Brustkrebs. Bis vor 50Jahren war Operation die vorherrschende Behandlungsmethode bei Brustkrebs. DieTotalentfernung der Brust wurde an Hunderttausenden von Frauen praktiziert.
Nun gibt es auch immer wieder verantwortungsbewusste Ärzte, die sich mit Glaubenssätzen wie » viel hilft viel « nicht zufriedengeben, sondern versuchen, die Behauptung zu überprüfen. Bei einer solchen Überprüfung kam heraus, dass dieTotalentfernung keinen Einfluss auf die Überlebensrate der Patientinnen hatte. So lautete die neue Empfehlung, nur denTumor zu entfernen, die Brust aber zu erhalten und eine Strahlentherapie zu beginnen. Es entbrannte ein erbitterter Kampf zwischen den Befürwortern des » viel hilft viel « und denen der neueren Denkrichtung. Dabei verweigerten sich die Radikaloperateure einem gründlichen Messen und Erwägen der einzelnenTherapiemöglichkeiten und sorgten dafür, dass Frauen nicht nach Faktenlage, sondern der persönlichenVorliebe des zuständigen Chirurgen gemäß behandelt wurden. Inzwischen überwiegt in derTumorchirurgie die Auffassung, dass aggressive Operationen nur noch in Ausnahmefällen durchzuführen seien, aber bis dahin war es ein langerWeg. Für viele zu lang.
Es gibt sehr viele Beispiele von medizinischen Behandlungen, die in manchen Fällen sinnvoll sind, aber zu häufig unkritisch eingesetzt werden und dann für den Patienten nur Nachteile bedeuten und ihn einem unnötigen Operationsrisiko aussetzen: Kniespiegelungen, Rückenoperationen, Herzkatheter. Leider können Krankenhäuser solcheTherapien im großen Stil einführen, ohne dass deren Nutzen zuvor durch kontrollierte Studien mitVergleichsgruppen belegt werden muss. Ein unhaltbarer Zustand. In Arztpraxen ist die Lage anders. Bevor ein Arzt in der Praxis neue Medikamente verschreiben darf, müssen die Pharmazieunternehmen den Nachweis über derenWirksamkeit in Form von Studien erbringen. Diese werden zwar oft manipulativ durchgeführt, aber immerhin ermöglicht dieseVorschrift, schädigendeTherapien durch die Entlarvung schlechter Studien wirksam zu kritisieren. Krankenhäuser unterliegen dieser Beschränkung jedoch nicht, und häufig stellt man erst sehr viel später fest, was man angerichtet hat. So kauften zum Beispiel 60Kliniken ab dem Jahr 2000teure Operationsroboter (Robodoc), die für Operationen zum Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks entwickelt worden waren. Allein die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik ( BGU ) in Frankfurt am Main hat diesesVerfahren etwa 6000-mal eingesetzt.Weil die Roboter-Operationskosten höher waren als die herkömmlicher Operationen, wurde von den Krankenkassen ein Gutachten erwirkt, welches dann von dieser Operationsmethode abriet. Heute gibt es eine Selbsthilfegruppe von 620Robodoc-Geschädigten, von denen viele schwerstbehindert und auf Rollstuhl oder Krücken angewiesen sind. Die Methode wurde ungeprüft viel zu schnell und zu breit eingesetzt. Eine kleine, kontrollierte Studie mitVergleichsgruppe hätte die Opfer, die bis heute um Anerkennung kämpfen, vor Invalidität schützen können.
Selbst in den USA , im Land einer marktwirtschaftlich entfesselten Medizin, ist ein solchesVorgehen nicht erlaubt.Wie wichtig kontrollierte Studien bei der Einführung neuerVerfahren sind, zeigt das Beispiel Stent-Implantation bei verengten Hirnarterien. Hierbei wird ein Metallgitter (Stent) durch einen Katheter in eine verengte Hirnarterie eingeführt, um das Gefäß offen zu halten und Schlaganfälle zu verhindern. Obwohl die amerikanischenÄrzte überzeugt davon waren, dass diese Methode der Einnahme von Blutverdünnern überlegen ist, mussten sie bei einem Pilotprojekt mitmachen. Hier wurde eine kleine sorgfältig ausgewählte Stichprobe mit dem neuenVerfahren behandelt und mit einer ebenso sorgfältig ausgewähltenVergleichsgruppe, die die herkömmlichen Blutverdünner erhielt, verglichen. Das Ergebnis erstaunte die Ärzte und brachte sie zum Umdenken. Die Patienten mit dem Stent hatten im Beobachtungszeitraum deutlich mehr Schlaganfälle, und zwar so dramatisch mehr, dass die Studie vorzeitig abgebrochen werden musste. Doch in Deutschland werden weiterhin teure neue Hightechverfahren breit eingesetzt, ohne sie einer vergleichbaren Überprüfung zu unterziehen.
Bei Ihrem nächsten Krankenhausaufenthalt werden Sie vielleicht die Erfahrung machen, dass das Personal knapp besetzt und dadurch
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