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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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wie gestern. Dass sie mir alles erklärte und mir versicherte, dass das mit Till nichts zu bedeuten hatte. Dass es ihr leid tat und wir alles vergessen sollten.
    Ich tauchte unter meinem Bettdecken- und Kissenberg auf und schaltete mit zittrigen Fingern mein Handy ein. Bestimmt hatte Vio mir eine SMS geschickt … Das Handydisplay zeigte keine Nachricht an. Blöde Kuh – dann eben nicht! Trotzig igelte ich mich wieder mit einem Buch ein. Als meine Mutter mich zum Essen rief, merkte ich, dass ich kein bisschen Appetit hatte.

    Am Nachmittag stand meine Mutter im Zimmer. Sie zögerte kurz, ehe sie fragte, ob ich was von Vio gehört hätte. Ich schüttelte nur den Kopf und starrte angestrengt in mein Buch. Jetzt bereute ich, meiner Mutter überhaupt von unserem Krach erzählt zu haben. Sicher fühlte sie sich nun berufen, mir einen mütterlichen Ratschlag zu verpassen, auf den ich nicht scharf war.
    Doch sie sagte: »Vios Mutter hat gerade angerufen. Vio ist seit gestern nicht nach Hause gekommen.«
    Ich hob ruckartig den Kopf und starrte meine Mutter an. »Was?«, brachte ich nur heraus.
    Hatte ich geglaubt, der Anblick von Vio und Till gestern wäre das Schlimmste gewesen, was ich je erlebt hatte, wusste ich schlagartig: Es ging noch eine Nummer härter. Vio hatte also die Nacht mit Till verbracht. Mir wurde schlecht.
    »Die fiese Kuh«, schrie ich und dann schluchzte ich los.
    Meine Mutter war mit zwei Schritten an meinem Bett und nahm mich in den Arm: »Heißt das, du weißt, wo sie ist?«, fragte sie.
    »Klar, bei Till«, heulte ich. »Die hat ihn doch gestern voll angemacht, war ja klar, dass da was läuft!«
    Meine Mutter wiegte mich, als wäre ich ein Baby. »Ist ja gut, mein Schatz«, sagte sie.
    Ich schluchzte noch eine Weile, beruhigte mich dann aber langsam, auch wenn die Vorstellung, dass Vio und Till gerade ebenfalls im Bett lagen, allerdings nicht, um zu lesen, mir einen glühenden Stich versetzte. Meine Mutter löste sich behutsam und strich mir über die Wange.
    »Ich bin gleich wieder da, Herzchen, ich muss nur schnell Vios Mutter zurückrufen und ihr sagen, was du weißt. Sie macht sich schreckliche Sorgen, weil sie dachte, Vio ist was passiert!«
    Ja, dachte ich grimmig, Vio ist tatsächlich was passiert – die große Liebe wahrscheinlich. Ich hoffte, dass Nessie am Montag erst Till eine scheuern würde und anschließend Vio. Gerade als ich überlegte, ob man mitten im Schuljahr das Gymnasium wechseln konnte, da ich Till und Vio am liebsten nie wieder begegnen wollte, kam meine Mutter zurück. Ich hoffte, sie würde mich jetzt nicht ausquetschen, denn mir war mein Ausbruch jetzt schon peinlich.
    Doch meine Mutter lächelte nur lieb und fragte, ob ich einen Tee wollte. Ich schüttelte den Kopf.
    »Darüber reden magst du wahrscheinlich auch nicht«, meinte sie dann und wieder verneinte ich.
    Stumm kuschelte ich mich zurück ins Bett. Meine Mutter schien noch etwas sagen zu wollen, da klingelte im Flur das Telefon. Sie verdrehte die Augen, schenkte mir ein kurzes entschuldigendes Lächeln und ging raus. Es dauerte keine Minute, als sie erneut unter der Tür stand. Sie sah mich irgendwie komisch an, schwieg und schien einen Moment nach den passenden Worten zu suchen.
    Schließlich räusperte sie sich: »Vio ist nicht bei diesem Till. Anscheinend hat sie gestern um Mitternacht die Party verlassen – allein. Keiner weiß, wo sie hingegangen ist.«
    Mein erster Impuls war, mich zu freuen. Vio hatte mich also doch nicht verraten und was mit Till angefangen. Erst dann sickerte langsam die Bedeutung des Satzes »Keiner weiß, wo sie hingegangen ist.« zu mir durch.
    Vio war verschwunden? Ich lag einen Moment wie erstarrt unter meiner Bettdecke, die mir plötzlich so schwer wie Blei vorkam. Meine Mutter sah meinen Schrecken und setzte sich zu mir. »Vielleicht hat sich Vio irgendwo verkrochen, um ihrer Mutter Angst einzujagen. Du hast mir doch erzählt, die beiden hatten auch Streit«, sagte meine Mutter und strich mir über die Haare.
    Auch Streit , sagte sie. So wie Vio und ich. Einfach abzutauchen, um mich – und ihre Mutter – zu bestrafen, das passte zu Vio. Und ich konnte mir denken, wo sie steckte, auch wenn sie inzwischen halb erfroren sein musste. Mich hielt nichts mehr im Bett. Hastig schlüpfte ich in Jeans und Sweatshirt. Dann schnappte ich mir Vios Lederjacke, die sie samt ihrem Schal gestern hier vergessen hatte, und sauste los.

    Aber unser Hochstand war verlassen. Keine Spur von Vio.

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