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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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immer wieder besorgt nach mir, aber ich nahm sie kaum wahr. Mein Kopf war leer, meine Augen trocken.
    Später erfuhr ich, dass das der Schock war. Viele Menschen reagierten so, wenn sie eine schlimme Nachricht bekamen. Sie verdrängten, schotteten sich ab. Tat ich dasauch? Keine Ahnung. Ich hatte nur das Bedürfnis nach Ordnung. Alles musste an seinem Platz sein.
    Als ich mir den Klamottenhaufen auf meinem Sessel vornahm, hielt ich plötzlich wieder Vios Lederjacke in der Hand. Ich starrte auf die Jacke, fühlte das Leder, dem ein schwacher Duft nach Vios Parfüm entströmte. Und da endlich begann ich zu weinen.

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: schlehenherz

    liebe vio,
    wenn du damals im park nicht gewesen wärst, hätte ich von nessie und till tief gedemütigt nach hause gehen müssen. doch du hast mit einem satz dafür gesorgt, dass wir als sieger das feld verließen. nur deinetwegen konnte ich mich auf einmal richtig auf die party freuen. und du solltest mit meinem glitzertop was besonderes sein an diesem abend.
    aber ich habe dich hängen lassen. ich war feige. wäre ich wirklich deine freundin gewesen, hätte es mir egal sein müssen, dass ich deinetwegen ärger kriege. ich hätte mal was riskieren müssen. denn dann hättest du es mir nicht heimzahlen müssen, indem du mit till flirtest. dann wäre ich nicht verletzt von der fete weggelaufen, sondern mit dir zusammen nach hause gegangen. und dann wärst du wahrscheinlich noch am leben. und ich müsste nicht damit leben, welches gefühl ich hatte, als wir uns das letzte mal angesehen haben: es war hass. vio, kannst du mir dort, wo du jetzt bist, verzeihen? ich kann es nämlich nicht. wie dumm ich war und wie banal im nachhinein alles, über was wir uns gestritten haben, erscheint.
    inzwischen weiß ich auch, wo du gefunden wurdest. unter einem schlehenbaum. dein mörder hat dich getötet und dann dort begraben.wahrscheinlich dachte er, niemand würde dich je finden.
    und wenn seine zwei hunde nicht zu bellen und zu graben angefangen hätten, wäre der förster auch nie an die stelle am waldrand gegangen. aber die tiere machten ein solches spektakel, dass er nachsehen wollte. er dachte, sie hätten ein totes reh entdeckt. doch rehe haben keine dunkelroten haare. da rief der förster die polizei.
    das alles zu erfahren war nicht leicht. die polizei wollte es mir nicht sagen. deine mutter konnte nicht. wer es mir erzählte? dein vater, vio.
    er ist sofort nach murnau gekommen. ich sehe dich vor mir, wie du das gesicht verziehst: »zu spät – wie immer«, würdest du sagen und dich dann enttäuscht wegdrehen. ja, er kam zu spät. so wie die polizei. und genau wie meine entschuldigung an dich. wenn ich nur einen einzigen abend, ein paar stunden noch einmal erleben dürfte, es wäre der moment, in dem zwischen uns alles anders und nichts wieder gut wurde. jetzt bleibt mir nur, dir mails zu schreiben. in den himmel? ins nirwana? ich weiß es nicht. ich wünschte, ich könnte sicher sein, dass dein lieblingsgott anubis dich gut hinübergebracht hat, wo immer das sein mag. liebe vio, die früchte des schlehenbaums sind hart und bitter. genau wie mein herz. ich war dir zum schluss keine gute freundin. und meine strafe wird sein, für immer mit dieser gewissheit leben zu müssen.
    deine lila

    Zwei Tage, nachdem ich von Vios Tod erfahren hatte, rief die Polizei bei uns an. Sie wollten meine Aussage. Ich hatte die Wahl, aufs Revier zu kommen oder die Kommissarin, die die Ermittlungen leitete, würde zu mir kommen. Ich entschied mich für die Polizeistelle. Ich hatte Schiss, dass in meinem Zimmer, in dem Vio und ich so oft gesessen und über alles Mögliche gequatscht hatten, die Erinnerung mich sofort zum Heulen bringen würde. Ich hoffte, in einer fremden Umgebung, in dieser nüchternen Polizei-Atmosphäre, wäre es einfacher, über Vio zu sprechen.
    Eine dunkelhaarige Frau mit Pferdeschwanz stand schwungvoll von ihrem Drehstuhl auf, als ich nach vorsichtigem Klopfen das Büro betrat. »Polizeioberkommissarin Monika Held« hatte ich draußen auf dem Plexiglasschild gelesen. Ein fester Händedruck, ein prüfender Blick: »Sie sind Elina May, nehme ich an.«
    Ich nickte und dachte kurz, dass sie ja wohl wissen müsste, mit wem sie einen Termin hatte.
    Die Kommissarin wies auf einen Stuhl gegenüber von ihrem hellbraunen, zerkratzten Sperrholzschreibtisch. Ich setzte mich an die äußerste Kante des unbequemen Möbels und wünschte schon jetzt, ich

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