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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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den Fall aufklären, koste es, was es wolle. Denen würde sie es zeigen.

    Von: [email protected]
    An: lila@schlehenherz
    Betreff: SchuelerVZ

    Hi Lila,
    hab dir ’ne Einladung geschickt, dein schülerVZ-Code müsste inzwischen bei dir angekommen sein.
    Brauchst dich nicht bei mir bedanken, Einladung auf ’nen Kaffee oder so reicht ;-)
    Greez, Jonas (Grover)

    Ich saß vor meinem Computer und schnaubte. Einladung auf »’nen Kaffee oder so« – das würde Grover so passen. Nur weil er mir die Anmeldung bei schülerVZ ermöglichte, sollte er sich ja nicht einbilden, dass ich ihm jetzt was schuldig war.
    Ich wollte schon eine schnippische Antwort tippen, dann aber ließ ich es sein. Keine Antwort war auch eine Antwort. Besser, ich sah zu, dass ich mich endlich bei schülerVZ einloggte.
    Ein Profil zu erstellen war selbst für einen Anfänger wie mich nicht schwer, allerdings musste man ganz schön viele Angaben machen: Vorname, Geburtstag, an welcher Schule man war … Statt meines Vornamens trug ich »Schlehenherz« ein. Als Tribut an Vio, die unter einem Schlehenbaum gefunden wurde. Und schließlich war ich wegen ihr in diesem Forum, damit sie vielleicht irgendwann Frieden finden konnte. Und ich hoffentlich auch.
    Bei den Fragen: »Was ich mag« und »Was ich nicht mag«, blieb ich bewusst vage. Mit den Antworten »Schokolade« und »zu viele Hausaufgaben« lag ich sicher nicht falsch.
    Als ich damit fertig war, erschien die Frage »Wer darf meine Seite sehen?«
    Automatisch wollte ich »Nur meine Freunde« anklicken, bis mir einfiel, dass ich nicht im Forum war, um mit Bekannten zu plaudern. Energisch klickte ich also auf den Button »Alle, die im schülerVZ sind«.
    Und auch bei der Frage »Wie kann ich gefunden werden?« blieb mir nichts anderes übrig, als zu wählen: »Ja, ich möchte in der Suche erscheinen und von anderen gefunden werden.«
    Das Einzige, was jetzt noch fehlte, war ein Foto von mir. Ich öffnete den Ordner »Lila-Pics« auf meinem Desktop, in dem verschiedene Bilder von mir gespeichert waren, die mein Vater oder Freunde von mir mit der Digitalkamera gemacht hatten. Die Schnappschüsse von Vio und mir rührte ich vorsichtshalber nicht an, diese Wunde war noch zu frisch. Stattdessen klickte ich mich durch meine eigene Geschichte: eine Lila mit ihren Eltern beim Bergwandern. Mit zwei Mitschülern auf der Hütte während des Schulskikurses. Ich und mein kleiner Bruder beim Sandburgbauen am Strand der Nordsee im Frühsommer vor zwei Jahren.Julius grinste zahnlos wie ein glücklicher Breitmaulfrosch in die Kamera, obwohl ihm sichtbar die Windel auf Halbmast hing.
    Lustige, komische, nette Bilder.
    »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße«, hörte ich im Geiste Vios Stimme. Sie hatte recht. Ich fand mich tatsächlich auf allen Fotos fade und unscheinbar. Hinter Lila mit dem farbigen Namen verbarg sich eine graue Maus.
    Genervt schloss ich mit einem Klick den Foto-Ordner und stellte mich vor den Spiegel. So, wie ich aussah, würde niemand auf mich aufmerksam werden. Schon gar nicht, wenn er vorher mit Vio gechattet hatte. Mit ihr konnte ich einfach nicht mithalten. Wenn ich nur ein bisschen mehr von Vios Wesen hätte, von ihrer Extravaganz …
    Hastig ging ich zu meinem Schrank und zog eins von Vios selbstdesignten Teilen heraus. Ich schlüpfte hinein. In dem schwarzen Shirt mit dem aufgenähten Totenkopf aus Blümchenstoff sah ich schon ziemlich verändert aus. Aber etwas fehlte noch. Ein flüchtiges Bild geisterte durch meinen Kopf und die Idee stieg plötzlich wie eine Luftblase an die Oberfläche meines Bewusstseins. Ich schnappte mir meine Jacke und sauste los: Die Geschäfte hatten noch genau eine halbe Stunde geöffnet.

    »Lila, was zum …« Meiner Mutter verschlug es die Sprache, als ich zum Abendessen erschien.
    Mein Vater hatte gerade sein Glas an die Lippen gesetzt und drehte sich um. Prompt verschluckte er sich an seinem Bier. Hustend und keuchend war er nicht in der Lage, überhaupt zu reden. Nur mein kleiner Bruder haute begeistert mit der Faust auf seinen bunten Plastikkinderteller mit dem Janosch-Tiger in der Mitte, sodass Teile seines kleingeschnittenen Käsebrots durch die Gegend flogen: »Lila hat Haare rot«, krähte er. »Julius will auch!«, setzte er hinzu und versuchte aus seinem Hochstühlchen zu klettern.
    Meine Mutter hatte inzwischen ihre Fassung wiedererlangt. Nachdem sie aufgestanden war und meinem Vater auf den Rücken geklopft hatte, damit der nicht

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