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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Vater irgendwann die Nase voll hatte und abgehauen ist. Blöd nur, dass ich es ausbaden muss. Eigentlich würde ich lieber bei meinem Dad wohnen«.
    Dabei wusste ich, dass ihr Vater auch nicht ohne war. Vios Mutter hatte ihn rausgeschmissen, weil sie seine ständigen Affären nicht mehr ausgehalten hatte. In einem kleinen Ort wie unserem sprach sich so was schnell herum, und ich glaube, Vios Mutter hatte es einfach satt, ständig die betrogene Ehefrau zu sein. Doch Vio nahm ihr übel, dass sie den Vater »vergrault« hatte, wie sie behauptete. Seit sie mit ihrer Mutter allein lebte, ließ Vio sich kaum mehr etwas vorschreiben. Der Hausarrest für die Schulparty war das Finale in einem lange schwelenden Konflikt zwischen Vio und ihrer Mutter gewesen.
    »Die ganze Zeit frage ich mich, ob ich zu streng war«, sagte ihre Mutter, als könnte sie meine Gedanken lesen. »Wenn ich mehr Zeit für Viktoria gehabt oder öfter versucht hätte mit ihr zu reden … Vielleicht hätte ich abends einfach öfter mal was kochen sollen und mich mit ihr zusammensetzen …« Ihre Stimme verlor sich.
    Hätte, sollte, würde: Ich wusste, dass das nichts mehr nutzte. Und das war das Schlimme daran.
    »Ich mache mir solche Vorwürfe«, murmelte sie erstickt und eine Träne lief über ihre Wange.
    In einem Schwall stieg nun auch in mir alles hoch: meine Verzweiflung, mein Kummer – und meine eigenen Schuldgefühle Vio gegenüber.
    »Ich weiß«, brachte ich nur heraus, und dann nahm ich sie einfach in den Arm, und gemeinsam weinten wir um unseren Verlust und die Endgültigkeit unserer Fehler.

    Schulhof, Flur, Klassenzimmer. Nichts hatte sich verändert, und doch erschien mir ohne Vio das Schulgebäude auf einmal kalt und abweisend, die Gänge fremd und leer. Schüler huschten als verschwommene Schemen an mir vorbei, ich sah sie wie in einem Schwarz-Weiß-Film. So als hätte mit Vios Tod das Leben seine Farben verloren.
    Den ersten Unterrichtstag überstand ich, weil ich mir verbot, nur eine Sekunde lang über etwas anderes als Mathe und Englisch nachzudenken. Und weil die Schulleitung rücksichtsvoll genug gewesen war, mich nicht in meine alte Klasse zu schicken. Stattdessen ging ich ab jetzt in die Parallelklasse. Dort gab es keinen leeren Stuhl, auf dem früher Vio gesessen hatte. Keinen Tisch, den wir uns geteilt hatten und auf dessen Platte ein »V« mit dem Zirkel eingeritzt war – Vios Werk, weil sie sich mal wieder in Mathe gelangweilt hatte. Und meine neuen Klassenkameraden glotzten und tuschelten auch nicht, wie es meine bisherigen Mitschüler taten, als sie mich in der Pause vorbeigehen sahen. Zwar wusste vom Fünftklässler bis zum Abiturient jeder, was mit Vio passiert war, aber in meiner neuen Klasse ließ man mich mit neugierigen Fragen in Ruhe.
    Und ich blieb für mich. Ich wollte nicht reden. Ich wollte auch keine neuen Freundschaften schließen. Wozu? Irgendwer hatte mir Vio weggenommen und niemand würdesie ersetzen können. Trotzdem hatte ich mein heimliches Versprechen nicht vergessen. Ich musste herauskriegen, wer sie auf dem Gewissen hatte.
    Dass die Polizei bei der Suche nach Vios Mörder erfolgreich sein würde, glaubte ich keine Sekunde. Sie hatte es ja bisher nicht einmal geschafft, Vios verschollenen Laptop ausfindig zu machen. Diese Kommissarin hockte in ihrem Büro, stellte überflüssige Fragen und machte sich wichtig, aber in Wirklichkeit tat sie nichts, um eine heiße Spur zu finden. Daher würde ich den Teufel tun und ihr von dem Zettel erzählen, den ich in Vios Jackentasche gefunden hatte. Außerdem musste ich erst einmal herausfinden, ob Vio tatsächlich bei schülerVZ gewesen war und wem sie dort geschrieben hatte. Blieb nur das Problem, wie ich in dieses Forum kam, denn ohne die Einladung eines Mitglieds lief gar nichts. Aber wie sollte ich an so jemanden herankommen?
    Ich beschloss, mich etwas im EDV-Raum unserer Schule umzusehen. Vielleicht fand sich dort ein bekanntes Gesicht und ich konnte unauffällig ein Gespräch über schülerVZ beginnen.
    Als ich vor der Tür stand, zögerte ich einen Moment. Mich überfiel plötzlich Panik, Till könnte dort drin sein. Seit der Schulparty hatte ich ihn nur einmal nach Unterrichtsschluss von Weitem gesehen, als er mit seinen Kumpels in der Raucherecke stand. Ohne Nessie. Ich war schnell und ohne einen Blick in seine Richtung weitergegangen. Tills Anblick war unvermeidlich an die Erinnerung geknüpft, als Vio im Streit von mir weglief und wie sie später mit

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