sagte der deutlich größere und kräftigere Alex drohend und hielt ihn eisern fest.
»Alex macht Kampfsport«, konnte Nessie sich nicht verkneifen, mir stolz zuzuflüstern.
Da knackte es schon in der Leitung: »Polizeidienststelle Murnau«, hörte ich eine gelangweilte Männerstimme.
Ich verlangte, umgehend mit Kommissarin Monika Held zu sprechen.
Und dann ging alles ganz schnell. Binnen zehn Minuten war sie mit einem Kollegen vor Ort. Mit Nessie und Alex als Zeugen brachte ich sie auf Stand. Grover hatte seit meinem Anruf bei der Polizei keinen Ton mehr gesagt, sondern mich nur angesehen und den Kopf geschüttelt. Als sei ich ein ungezogener Dackel, bei dessen Erziehung Hopfen und Malz verloren war. In diesem Moment wünschte ichGrover die Pest an den Hals, zumindest aber eine Einzelzelle im Knast – ohne Fenster.
Nessie und Alex hatten mich in die Mitte genommen. Stumm sahen wir zu, wie Grover, von den Polizeibeamten flankiert, in den Wagen stieg. Kurz bevor sich die Türe schloss, hörte ich ihn zur Kommissarin sagen: »Können wir bitte noch schnell bei mir zu Hause vorbeifahren? Mein Pflegehund aus dem Tierheim ist alleine und war seit Stunden nicht zum Pinkeln draußen …«
Schweigend legte Nessie den Arm um mich. Erst als das Polizeiauto um die Ecke gebogen war, merkte ich, dass ich immer noch krampfhaft mein Handy umklammert hielt. Zitternd steckte ich es in die Tasche. Das Display zeigte kurz nach zwei Uhr nachmittags. An einem regnerischen Tag im November, fünf Wochen nach Vios Tod, um genau 14 Uhr war ihr Mörder also endlich dingfest gemacht worden.
Die beiden hatten mir angeboten, mit ihnen noch was trinken zu gehen, doch ich hatte abgelehnt. Ich wollte – ich musste jetzt alleine sein.
In einen von Vios Pullis kauerte ich im Sessel, während in meinem Kopf die Gedanken wild durcheinanderkreisten. Als säße ich in einem dieser Rummelplatz-Fahrgeschäfte, die so heftig rotieren, bis man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Bilderfetzen von Grover heute und von Vio damals wirbelten vor meinem inneren Auge vorbei wie welke Blätter im Herbststurm.
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Grover so etwas getan haben sollte – ein vermeintlich harmloser, lustiger Mitschüler von mir hatte meine beste Freundin umgebracht. Und er war es auch, der mich damals durchs Moor gehetzt hatte. Ein kurzer Gedanke flitzte durch meinHirn, doch ich bekam ihn nicht zu fassen. Wie eine lästige Stechmücke versuchte ich ihn zu verscheuchen, doch etwas – eine Kleinigkeit – stimmte nicht. Wie ein Puzzlestück, das einfach nicht passen wollte, so sehr man es auch in die Lücke hineinpresste.
Ich sah mich wieder auf dem Schulhof stehen und Grover meine Anschuldigungen entgegenschleudern … ich war nah an ihn herangetreten …
Plötzlich wusste ich, was mich so irritierte. Der Geruch. Beziehungsweise sein Fehlen. Als ich dicht vor Grover stand, hatten seine Klamotten schwach den Duft nach frischer Wäsche verströmt. Nicht den schweißigen Holz-Gewürze-Mix, den ich zweimal wahrgenommen hatte: Als der Maskenmann mich im Moor angriff und ein paar Tage später auf dem Schulflur vor den Toiletten.
Sofort redete ich mir ein, dass er schließlich geduscht haben konnte und die Sache mit dem Duft keinerlei Bedeutung hatte. Ich wollte nicht zweifeln, ich wollte so gerne glauben, dass der Albtraum endlich vorbei war. Für Vio, ihre Mutter – und für mich. Bestätigung suchend schaltete ich meinen Computer ein: Schließlich hatte ich »Blauer Reiter«, alias Grover, noch eine Mail geschickt und ein Treffen vorgeschlagen. Das dürfte sich ja nun wohl erledigt haben. Nach kurzem Zögern beschloss ich, mein schülerVZ-Profil zu löschen. Ich hatte mein Versprechen Vio gegenüber eingelöst. Die Polizei hatte ihren Täter und ich hoffentlich meinen Frieden.
In meinem Account blinkte eine neue Mail.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: RE: Treffen
Hi Schlehenherz,
schön, das du dich anders entschieden hast. Wie wär’s mit ’nem Kompromiß: um 15.30 im kleinen Café neben dem Biergarten bei der Loisachkapelle. Wenn du dich warm anziehst, können wir in der Herbstsonne draußen sitzen!
Blauer Reiter
Ich starrte auf die Mail. Sie war um 14.03 Uhr abgeschickt worden. Genau zu dieser Zeit hatten die Polizisten Grover ins Auto verfrachtet.
Schlagartig bekam ich eine Gänsehaut und meine Haare schienen zu Berge zu stehen. Denn nach dieser Mail war klar, Grover