Schlehenherz
Reiter‹, stimmt’s?«
Bei der Erwähnung des Namens zuckte Grover zusammen und ein seltsamer Ausdruck, den ich nicht deuten konnte, huschte über sein Gesicht: Schreck? Schuldbewusstsein? Egal, es war jedenfalls eindeutig, dass er in der Sache drinsteckte.
Auch wenn er jetzt versuchte, beschwichtigend auf mich einzureden: »Lila, mach dich locker, okay? Es ist nicht so, wie du denkst …«
Doch ich war nicht mehr zu stoppen. Er hatte mir unter einem falschen Namen gemailt. Wie hätte er sonst wissen sollen, dass ich von »Blauer Reiter« Gedichte bekam?
Die Enttäuschung traf mich wie der Haken eines Boxers mitten in den Magen. Die Gedichte, die wie für uns gemacht schienen, seine Zeilen, die mich oft so tief berührt hatten, das Warten auf seine nächste Mail, die Hoffnungen, die ich mir gemacht hatte – das war alles eine schäbige Lüge gewesen? Ein grausamer Scherz von einem Mitschüler, der sich auf meine Kosten amüsieren oder mich einfach nur demütigen wollte?
Aber es passte alles zusammen: Der Name »Blauer Reiter« – blau wie Grovers Haare. Unter seiner wahren Identität war er nicht an mich rangekommen, also hatte er sich einfach als ein anderer ausgegeben. Wie dumm ich gewesen war! Wie ein Echo hörte ich die Stimme der Kommissarin, die mich am Telefon noch gewarnt hatte: »Passen Sie auf sich auf. Man kann im Netz niemandem vertrauen!«
Und dann machte sich ein neuer, schrecklicher Verdacht in mir breit: Was, wenn Grover mich auch angelogen hatte, als ich ihn fragte, ob er mit Vio bei schülerVZ gechattet hatte? Was, wenn er schon einmal einen falschen Namen benutzt hatte – und Vio ihm in die Falle gegangen wäre? Ich weiß nicht, woher der Gedanke kam, ich interpretierte ihn in diesem Moment als eine Art sechsten Sinn, als Vorahnung.
Immerhin hatte Vio ihn oft genug aufgezogen und veräppelt. Vielleicht dachte er ja auch, sie stünde ihm im Weg und ohne ihre spitze Zunge hätte er mehr Chancen beimir? Ich bin wahrhaftig nicht eingebildet, aber in diesem Moment schien mir diese Erklärung durchaus plausibel. Auf einmal kam mir Grover wie ein Psychopath vor, der nicht nur unter falscher Identität im Netz chattete, sondern zu allem fähig war.
Außerdem: Las man nicht in der Zeitung immer wieder von Menschen, die überall beliebt waren – bis sie ein grauenhaftes Verbrechen begingen? Und niemand hätte ihnen das zugetraut. »Er war immer so ein freundlicher Nachbar/Fußballkumpel/Schüler«, hieß es dann immer. Wieso sollte es bei Grover nicht genauso sein?
Offenbar stand mir das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben, denn seine Stimme klang nun hörbar unsicher: »Jetzt guck nicht so – das ist alles ein Riesenmissverständnis, echt …«
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Nessie und Alex sich näherten. Durch ihr Erscheinen mutig geworden, sprach ich meinen Verdacht laut aus. So laut, dass auch die beiden es hörten. Ihre anfängliche Ungläubigkeit befeuerte mich noch, als ich nah an Grover herantrat und ihm die vermeintlichen Fakten um die Ohren haute:
»Du hast unter falschem Namen mit mir gechattet. Eben hast du dich selbst verraten! Denn nur derjenige, der mir die Mails geschickt hat, kann wissen, dass es sich dabei um Gedichte handelt! Mit Vio hast du es genauso gemacht, stimmt’s? Und als sie rausgekriegt hat, wer du wirklich bist, habt ihr euch gestritten! Und dann hast du … dann hast du sie …«
Ich konnte nicht weitersprechen, weil mir Schock und Abscheu die Stimme raubten. In meinem Hals kratzten die Tränen, die ich immer noch um Vio weinte und noch lange weinen würde – und alles war Grovers Schuld.
»Lila, jetzt komm mal wieder runter! Das ist doch totaler Bullshit …«, fing er an, aber ich war nicht bereit, ihm zu glauben.
Ich wandte mich an Nessie. »Eben hat er sich verplappert. Er ist ›Blauer Reiter‹! Und unter dem Namen wollte er sich auch mit mir treffen! Wer weiß, was er da vorhatte«, rief ich aufgewühlt.
Nessie nickte und auch Alex sah grimmig zu Grover. Der hob die Hände und versuchte zu beschwichtigen: »Leute, hört mal, das macht doch null Sinn! Wieso sollte ich Lila unter ’nem falschen Namen schreiben und sie dann persönlich treffen wollen?«
Doch ich hatte schon mein Handy aus der Tasche gezogen. »Ich rufe jetzt die Bullen«, erklärte ich.
»Lila warte, das kannst du nicht machen«, rief Grover und machte einen Schritt auf mich zu.
Blitzschnell war Alex zur Stelle und drehte ihm den Arm auf den Rücken. »Freeze, Kumpel«,
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