Schlehenherz
neulich, war wohl etwas paranoid. Okay, wir treffen uns irgendwo, wo es ruhiger ist (muss ja nicht gleich im finstersten Wald sein, oder? :-) Kannst gern einen Vorschlag machen.
Schlehenherz
Flink schloss ich die Seite und huschte aus dem Raum, denn eigentlich war es nicht erlaubt, die Schulcomputer für private Zwecke zu benutzen. Als ich von Weitem Grover vorm Schwarzen Brett stehen sah, schlug ich hastig einen Haken wie das Karnickel vor der Flinte des Jägers. Seine Witze hätten mir jetzt gerade noch gefehlt – und außerdem hatte ich gerade keinen Kaffeebecher zur Hand.
Doch als der Gong das Ende des Schultags ankündigte, entkam ich ihm nicht mehr. Ich wartete neben der Raucherecke auf Nessie, die sich in aller Ausführlichkeit und mit ziemlich viel Körperkontakt von Alex verabschieden musste, als Grover lässig auf mich zugeschlendert kam. Da ich mich weder spontan in Luft auflösen konnte, noch mich durch einen – diesmal simulierten – Ohnmachtsanfall aus der Affäre ziehen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als verkrampft an Ort und Stelle stehen zu bleiben, als er grinsend meinte: »Du schuldest mir noch ’nen Kaffee!«
Sein direkter Blick machte mich verlegen, also antwortete ich etwas zu schnell. »Wieso? War doch nicht deiner, den ich verschüttet hab!«
»Nein, aber du hast ihn nur über meinen linken Fuß gegossen. Der rechte ist immer noch kalt, und ich finde, Gerechtigkeit muss sein!«
Wider Willen musste ich jetzt lachen. Dass Grover einfach nicht aufgab, beeindruckte mich – und insgeheim, in einem kleinen, eitlen Winkel meines Herzens, schmeichelte es mir auch. Vorsichtig blickte ich zu ihm hoch. Nessie hatte recht: Seine grauen Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, waren wirklich schön. Aber diese grauenhaft blaue Putzwolle auf dem Kopf konnten auch die längsten Wimpern und die witzigste Art nicht aufwiegen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mit ihm fröhlich quasselnd beim Kaffee zu sitzen. Ich hätte dauernd das Bedürfnis, mit ihm sein Styling zu besprechen.
Unbehaglich starrte ich auf meine Schuhspitzen und fing zögerlich an: »Grover … weißt du, ich …«
»He, keine Panik – es muss nicht die Kaffeeplörre aus dem Automaten sein«, unterbrach er mich rasch. »Ich würde mich auch mit ’nem seriösen Espresso begnügen!«
Wieso ließ er nicht locker?, dachte ich sauer. Wie ein Terrier, der sich in seinen Lieblingsknochen verbissen hatte. Nur, dass in dem Fall ich der Knochen war. Ich war ihm einfach nicht gewachsen und das ärgerte mich. Heftiger als beabsichtigt rutschte mir deshalb raus: »Pass mal auf, das kannst du löten. Ich geb’s dir gern schriftlich, aber so läuft das bei mir nicht, okay?«
Ihm verrutschte das Grinsen, offenbar hatten meine Worte ihn getroffen. Nun kriegte ich doch ein leicht schlechtes Gewissen. Schon wollte ich irgendetwas Entschuldigendes nachschieben, als mich seine genervte Frage kalt erwischte. »Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir, Lila, dass du mich dauernd abblitzen lässt, hm?«
Gerade als ich überlegte, ob ich seine blauen Haare ansprechen sollte – Wahrheit oder Pflicht, schoss mir unsinnigerweise durch den Kopf –, fuhr er aufgebracht fort: »Rieche ich aus dem Mund? Gibst du dich prinzipiell nur mit Typen aus höheren Klassen ab? Oder soll ich dir das nächste Mal ’ne Einladung zum Kaffee in Gedichtform schicken?«
Augenrollend hatte ich mich schon zum Gehen gewandt, als etwas an seinem letzten Satz bei mir im Kopf ein rotes Alarmlämpchen aufleuchten ließ. Ich stockte, und plötzlich war es, als hätte sich vor mir ein Abgrund aufgetan.
»Eine Einladung in Gedichtform«, hatte er gesagt. Wie zum Teufel kam er darauf? Es gab nur eine einzige Möglichkeit – und die ließ mich erschauern. Als wäre ich auf einem zugefrorenen See ins Eis eingebrochen und die gnadenlose Kälte des Wassers würde in Sekundenschnelle durch meine Kleider bis auf die Knochen dringen, führten Grovers Worte dazu, dass ich vor Schreck erstarrt dastand wie eine Eisskulptur.
Offenbar hatte er seinen Fehler nicht bemerkt, denn er musterte mich verwundert – oder tat zumindest so – und fragte mit dem harmlosesten Gesichtsausdruck der Welt: »Was ist denn jetzt los, hast du einen Geist gesehen?«
Jetzt verwandelte sich mein Schock in blanke Wut und ich schrie ihn an: »Du miese Ratte! Du steckst dahinter! Und ich war so blöd und dachte … Dabei hast du mich die ganze Zeit nur verarscht! Du bist ›Blauer
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