Schleichendes Gift
Sie horchen ihn hier aufs Geratewohl aus. Wenn nicht noch etwas vorliegt, das Sie bis jetzt nicht verraten haben, gibt es keinen Grund, uns hier festzuhalten. Ich möchte, dass Sie meinen Klienten sofort und ohne Anschuldigung freilassen. Wir sind nämlich fertig hier. Er sagt kein einziges Wort mehr, und Sie haben nichts gegen ihn vorzubringen.«
Das Schlimmste war, dass sie recht hatte. »Freilassung mit Meldepflicht«, erklärte Carol und stand auf. »Wir werden uns an diesem Tisch wiedertreffen, Ms. Scott.«
Bronwen Scott lächelte erneut. »Nicht, bevor Sie die Sache auf die Reihe kriegen, Chief Inspector Jordan. Was die Klage wegen tätlicher Bedrohung betrifft, werden Sie von uns hören.«
Carol sah ihnen nach, als sie weggingen, und zuckte wehmütig mit den Schultern. »Das kommt davon, wenn man so ungeduldig ist«, meinte sie. »Man wird sich von John O’Groats bis Land’s End über uns totlachen.« Dann raffte sie sich auf. »Sam, wenn Sie nächstes Mal einen Ihrer Kollegen übervorteilen wollen, sorgen Sie dafür, dass es der Mühe wert ist, ja?«
Als Carol in die Einsatzzentrale zurückkam, warteten Chris und Paula schon auf sie. Beide sahen aus, als hätten sie ein paar Stunden zusätzlichen Schlaf gut brauchen können, und Paula wirkte ausgesprochen ausweichend. »Hattet ihr Glück mit Butler?«, fragte Chris.
»Wir haben nichts gegen ihn in der Hand, und er hat die verflixte Bronwen Scott.« Mehr brauchte man da nicht zu sagen. Sie unterdrückte ein Gähnen, ermahnte sich, sie benötige keinen Drink, und setzte sich auf ihren Stuhl. »Wie war’s bei euch? Ein Treffer im Amatis?«
Die beiden tauschten einen Blick. »Treffer schon, aber nicht im Amatis«, begann Chris und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich habe meine Zustimmung gegeben, dass Paula eine andere Ermittlungsrichtung verfolgen konnte …«
»So war’s nicht, Chefin«, unterbrach Paula. »Sergeant Devine war nicht verantwortlich. Ich habe sie überredet. Es ist auf meinem Mist gewachsen. Wenn es Probleme gibt, ist alles meine Schuld.«
»Was redet ihr beiden da?«, fragte Carol, amüsiert über ihre Ernsthaftigkeit. »Wenn wir vorankommen, ist es nicht so wichtig, wer dafür verantwortlich ist. Sagen Sie schon, Paula: Welche andere Ermittlungsrichtung?«
Paula starrte auf ihre Füße. »Ich weiß nicht, ob Sie’s wissen, aber Dr. Hill hat mir ja … geholfen, wieder zurechtzukommen«, berichtete sie offensichtlich sehr angespannt. »Ich wollte aussteigen. Aber er hat mir geholfen, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen.«
»Ich weiß, wie gut er das kann«, sagte Carol sanft. Auch sie hatte schon von seinen heilenden Kräften profitiert, obwohl sie den Verdacht hatte, dass Paula der Prozess mehr gebracht hatte, weil sie und er sich nicht so nahestanden.
Paula hob den Blick und schaute Carol mit trotzig vorgeschobenem Unterkiefer in die Augen. »Ich bin es ihm schuldig. Als er mich gestern bat, bei ihm vorbeizukommen, habe ich nicht gezögert. Er erzählte mir von einem anderen Fall, von dem er glaubt, dass er mit Robbie Bishop in Verbindung stehen könnte. Er sagte, Sie hätten die Idee bereits abgelehnt, und ich muss sagen, das überraschte mich nicht, als er erklärte, wie dürftig die Sache war.«
Carol schaffte es, ihre Mimik im Griff zu behalten, aber ihre innere Gelassenheit war dahin. Was trieb er denn da, verdammt noch mal? Jedenfalls gab es ihr das Gefühl, dass ihr kein Vertrauen entgegengebracht wurde. Im schlimmsten Fall war es Verrat. Wie konnte er sich jemanden aus ihrem eigenen Team herauspicken und diese Beamtin dazu benutzen, ihr zu zeigen, wie man vorgehen musste? »Wollen Sie damit sagen, dass Sie Befragungen zum Tod von Daniel Wade gemacht haben?«, fragte sie und klang gefährlich knapp und präzis.
Paula verkrampfte sich auf ihrem Stuhl, zuckte aber nicht mit der Wimper. »Ja, Chefin.«
Carol neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Paula mit der gleichen Geringschätzung wie Gefangene im Verhörbüro.
»Dann erzählen Sie mir doch, Detective Constable McIntyre, wann genau Sie bei der Sondereinsatzgruppe gekündigt und bei Dr. Hill angefangen haben.«
»So ist es nicht«, begann Paula. »Ich verdanke ihm doch so viel.«
»Sie hatten den Auftrag, in einem Mordfall zu ermitteln, und haben das lieber links liegenlassen, weil ein Mann, der gelegentlich mit diesem Team zusammenarbeitet, Ihnen etwas anderes auftrug?« Carols Stimme hätte einen Sturm aufgehalten. Sie sah, wie sehr Paula
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