Schleichendes Gift
nicht gleich die ganze Familie Aziz ausstoßen.
Aber heute Vormittag hatte es ihn plötzlich wie ein Hammerschlag getroffen, wie ungeheuerlich dies alles war. Es war gar nichts Besonderes passiert. Sie waren alle wie sonst am Samstagvormittag ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nachgegangen. Seine Mutter war zum asiatischen Minimarkt gegangen, um Halalfleisch, Gemüse und Obst fürs Wochenende zu kaufen. Sein Vater wollte zum Beten und um sich mit seinen Freunden zu unterhalten in die Moschee. Raj war für eine Stunde in der Koranschule, um den Koran zu lernen. Sanjar lag noch im Bett und schlief sich nach der Woche aus. Und Yousef ging ins Lager, um sich zu vergewissern, dass alles so lief, wie es sollte. Das Gefühl, dass er dies zum letzten Mal tat, war merkwürdig gewesen. Merkwürdig, aber nicht ergreifend. Wegen einer alten Fabrik und ein paar Arbeitern, die niemals seine Freunde werden konnten, wurde man doch nicht rührselig.
Der Hammer war das Mittagessen gewesen. Sie aßen samstags traditionsgemäß alle zusammen. Seine Mutter machte immer ein sorgfältig zubereitetes gewürztes Lammgericht mit verschiedenen Gemüsesorten, ein wahres Gedicht, und als Beilage dazu einen Stapel Chapati. Es war eine kurze Zeit zusammen mit der Familie in einem Leben, in dem alle mit ihren eigenen Dingen beschäftigt waren. Dass er wusste, er würde dies nie wieder erleben, hatte es Yousef fast unmöglich gemacht zu essen. Und deshalb hatte seine Mutter zu grübeln begonnen, was wohl mit ihm nicht stimmte. Sie hatte ihn in Ruhe gelassen, bis Raj anfing zu jammern, weil Sanjar eine eilige Lieferung nach Wakefield bringen musste und Raj, der seine Freunde zum Fußballspiel treffen wollte, nicht mitnehmen konnte.
»Mach dir keine Gedanken, Raj, Yousef kann dich hinbringen«, hatte seine Mutter gesagt.
»Ich kann nicht«, hatte er widersprochen. »Ich habe vereinbart, jemanden wegen eines neuen Vertrags zu treffen, und muss nach Brighouse hinüber. Ich habe keine Zeit.«
»Was soll das heißen, du hast keine Zeit? Es wird kein großer Umweg sein, den Jungen zu seinen Freunden mitzunehmen«, beharrte seine Mutter.
»Was für ein neuer Vertrag?«, wollte sein Vater wissen.
»Niemand kümmert sich um mich«, beklagte sich Raj.
Sanjar sah ihn an und zwinkerte. Er glaubte offensichtlich auch nicht an den neuen Vertrag, aber was immer Yousef seiner Meinung nach vorhatte, er hatte mit seinen Vermutungen keine Chance, die Wahrheit auch nur annähernd zu treffen.
Und da war Yousef fast durchgedreht. Seine letzte Mahlzeit mit seiner Familie wurde zu einer allgemeinen Streiterei. Wenn sie alle darauf zurückblickten, würde ihnen keine herzliche Erinnerung an ein frohes gemeinsames Familienessen bleiben in einer Zeit, als sie sich noch Illusionen über ihn und darüber machten, wer er war. Es würde nur der bittere Nachgeschmack einer gereizten Stimmung zurückbleiben.
Er hatte gehen müssen, bevor er anfing, vor ihnen zu weinen. Die Tränen ließen ihn auf der Fahrt zur Einzimmerwohnung alles verschwommen wahrnehmen. Er liebte sie alle und würde sie nie wiedersehen.
Yousef schüttelte den Kopf, wie um die schmerzlichen Gedanken abzuschütteln. Es gab kein Zurück mehr. Er musste nach vorn schauen und über die wunderbare Zukunft nachdenken, in der seine Träume in Erfüllung gehen würden. Er stieß sich von der Tür ab. Nur diese letzte Phase musste er noch hinter sich bringen.
Vorsichtig füllte er einen Ghee-Behälter in mittlerer Größe mit dem TATP und legte das Triebwerk aus einer Modellrakete in die Mitte. Mit kleinen Krokodilklemmen befestigte er dünne, isolierte Drähte am Triebwerk und schloss sie dann an einem elektronischen Zünder an. Der war mit einem Timer in einem kleinen, mit Paketband zusammengefassten Bündel verbunden. Diesen Teil der Bombe hatte er nicht selbst hergestellt, da er über solche Fertigkeiten nicht verfügte. Aber es war ihm erklärt worden. Er musste um fünfzehn Uhr dreißig fertig und die Bombe vor Ort sein, das hieß nach zwei Dritteln der ersten Halbzeit. Er sollte den Timer auf vierzig Minuten stellen, damit er mitten in der zweiten Halbzeit zündete und ihm genug Zeit bleiben würde zu entkommen. Es war einfach und sollte bewusst einfach gehalten werden, um die Risiken möglichst gering zu halten.
Die Konzentration auf das Zusammensetzen der Bombe beruhigte ihn. Als er fertig war und sie am Boden von Imrans Werkzeugkasten verstaut hatte, war er wieder gefasst.
Yousef trug den
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