Schleichendes Gift
halte es nämlich für möglich, dass Sie der Nächste auf der Liste des Giftmörders sind. Ich kann es im Moment nicht näher erklären, Paula und ich werden gleich jemanden wegen Samstag befragen. Aber …« Er hörte ein Piepsen im Ohr, das ihm sagte, die Zeit sei um. »Voicemail«, sagte er erklärend. »Ich hoffe, er hört es ab.«
Paula bog in eine Einfahrt ein. Er wusste, dass das Haus nach Lage, Grundstück und Größe nahezu zwei Millionen gekostet haben musste. Es war ein viktorianisches Herrenhaus mit sehr schönen Proportionen in gelbem Backstein. Lange Staudenrabatten säumten die Einfahrt. Ein Stück weiter weg glitzerten Wasserspiele. Alles verriet Überfluss und guten Geschmack.
Paula stieß einen Pfiff aus. »Es bringt einen doch ins Grübeln, wie alle die beschissenen Klamotten in die Geschäfte kommen. Benjamin Diamond muss all seinen Geschmack für dieses Haus aufgebraucht haben.«
»Es ist sehr erlesen«, stellte Tony fest. »Aber ich nehme an, das ist für seine Witwe im Moment ohne Bedeutung.«
Paula sah betreten aus. Sie hielt bei einer Reihe von Garagen, die früher offensichtlich als Ställe gedient hatten. »Brauchst du Hilfe?«, fragte sie.
»Ich glaube, es ist besser, ich versuche es einfach mal«, sagte Tony und tat das.
Heute hatte er überall Schmerzen. Dr. Chakrabarti hatte recht. Er lag nicht ohne Grund im Krankenhaus. Leider bedachten Mörder solche Dinge nie.
Rachel Diamond öffnete ihnen und stellte sich vor, bevor Paula die Gelegenheit hatte, etwas zu sagen. Sie trug eine anthrazitfarbene Seidenbluse zu einem schwarzen Rock, der schwang und wippte, wenn sie ging. Tony verstand nicht viel von Kleidern, war aber ziemlich sicher, dass Rachels Trauerkleidung nicht dem Sortiment von B&R entstammte.
Sie führte sie in ein großes Wohnzimmer, das an der einen Seite einen tiefen, fünfeckigen Erker hatte. Er gab die Aussicht auf Büsche und Bäume frei. Durch eine Lücke zwischen dem Laub leuchtete der türkisfarbene Streifen eines Swimmingpools. Der Raum selbst war unaufdringlich der modernen Zeit angepasst und im Stil viktorianischer Wohnkultur möbliert und ausgestaltet. Er hatte den leicht abgenutzten Touch eines bewohnten und nicht nur zur Schau gestellten Raums. Für lebhafte Farbe sorgte ein halbes Dutzend Gemälde von Wüstenlandschaften in hellen, warmen Farbtönen.
Rachel umsorgte Tony, brachte ihm zwei Schemel und diverse Kissen, damit er die angenehmste Position für sein Bein finden konnte. Sie kniete vor ihm nieder und schob und rückte alles zurecht, bis er es bequem hatte. Ihr dunkles Haar war glänzend und dicht, aber er sah winzige silbrige Punkte an den Haaransätzen. Dann blickte sie auf, und er hatte zum ersten Mal Gelegenheit, sie ohne die Ablenkung durch Bein und Krücken richtig wahrzunehmen.
Sie hatte schöne Haut, weich und mit einem leicht olivenfarbenen Teint. Er wusste, dass sie vierunddreißig war, hätte sie aber auf Ende zwanzig geschätzt. Ihre schön geschwungenen Brauen verliefen perfekt parallel zu den hohen Bögen ihrer Augenhöhlen und zogen die Aufmerksamkeit auf ihre mandelförmigen, nussbraunen Augen. Die Lider waren gerötet, und an den Augenwinkeln war ein Fächer kleiner Fältchen. Füllige Wangen, eine Nase wie der umgekehrte Bug eines Schiffes, ein Mund mit schmalen Lippen, dessen seitliche Falten den Eindruck erweckten, dass sie oft lächelte. Sie war eher eindrucksvoll als schön, sah aber auch aufgeweckt und intelligent aus und wirkte, als sei sie ein angenehmer Mensch. »Ist es gut so?«, wollte sie wissen.
»Bequemer als die ganze Woche«, antwortete Tony. »Vielen Dank.«
Rachel richtete sich auf, setzte sich auf einen weichen Chintzsessel und zog die Beine an. Paula saß etwas abseits und störte sich nicht daran, dass es aussah, als gehöre sie zum Mobiliar, bis sie es nötig finden würde, einzugreifen.
Als es nichts Praktisches mehr zu tun gab, sah Rachel traurig und verloren aus. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Hände auf die Arme gelegt. Es war warm im Raum, aber sie zitterte leicht. »Ich weiß nicht genau, warum Sie mit mir sprechen wollten«, sagte sie. »Das liegt wahrscheinlich an mir. Nichts ergibt im Moment wirklich Sinn.«
»Das kann man auch nicht erwarten«, erwiderte Tony sanft. »Und es tut mir leid, hier hereinzuplatzen zu einer Zeit, da Sie wirklich keine fremden Leute in Ihrem Wohnzimmer haben möchten.«
Rachel entspannte sich etwas, ließ die Schultern sinken und lockerte die
Weitere Kostenlose Bücher