Schleichendes Gift
sich etwas, haben Muskelzerrungen, Bänderrisse, wissen Sie. Sie werden doch nicht vergiftet. Ich kann’s nicht fassen.«
Paula hielt ihn nicht davon ab, sich aufzuregen, und wartete, bis er begann, ruhiger zu werden, bevor sie ihre Fragen stellte. Sie hatte sich daran gewöhnt zu warten und war zur Expertin geworden. Niemand war besser in der Kunst des Befragens als Paula, und das war hauptsächlich dem Trick geschuldet, dass sie wusste, wann sie loslegen und wann sie sich zurückhalten sollte. Also wartete sie, bis Martin Flanagans Energie verbraucht war, er den Kopf an die kühle Fensterscheibe lehnte und schweigend dastand, die Hände zu beiden Seiten am Rahmen. Sie sah das Spiegelbild seines vom Schmerz ausgezehrten Gesichts.
»Wann traten bei Robbie die ersten Anzeichen von Krankheit auf?«, erkundigte sie sich.
»Am Samstag beim Frühstück. Wenn wir Heimspiele haben, verbringen wir immer die Nacht vorher im Victoria Grand Hotel.« Flanagan zog die Schultern hoch. »So kann man sie besser kontrollieren, wissen Sie. Die meisten sind ja jung und einfältig. Sie würden sich bis früh morgens in der Stadt herumtreiben, wenn wir sie nicht im Zaum halten würden. Ich denke manchmal, wir sollten sie mit einem Chip wie Katzen, Hunde und Pädophile ausstatten.«
»Und Robbie sagte, dass er sich nicht wohl fühlte?«
Flanagan schniefte. »Er kam an meinen Tisch. Ich saß mit Jason Graham, meinem Assistenten, und Dave Kermode, dem Physiotherapeuten, zusammen, und Robbie meinte, er sei nicht ganz auf der Höhe. Eng um die Brust, Schwitzen, Fieber. Und seine Gelenke täten weh, so als würde er eine Grippe kriegen, wissen Sie. Ich sagte ihm, er solle fertig frühstücken und auf sein Zimmer gehen, und ich würde den Mannschaftsarzt raufschicken, damit der ihn sich ansah. Er erklärte, er hätte keinen Hunger, er würde also einfach raufgehen und sich etwas hinlegen.« Flanagan schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht glauben, ich kann’s einfach nicht.«
»Also, am Freitagabend war er jedenfalls bestimmt nicht in der Stadt?«
»Auf keinen Fall. Er teilt sich ein Zimmer mit Pavel Aljinovic.« Er drehte sich zu Paula um und rutschte an der Wand bis in die Hocke hinunter. »Der Torhüter, wissen Sie? Sie haben immer zusammen ein Zimmer, seit Pavel vor zwei Spielzeiten nach Bradfield kam. Robbie sagt immer, Pavel ist ein Langweiler, er sorgt dafür, dass er ehrenhaft bleibt.« Ein trauriges Lächeln ließ seine Mundwinkel leise zucken. »Es gibt welche, denen würde ich nicht über den Weg trauen, wissen Sie, aber Pavel ist nicht so einer. Robbie hat recht, Pavel ist ein langweiliger Kerl. Er würde nie versuchen, sich rauszuschleichen, um eine Nacht auf Sauftour zu gehen. Und er hätte auch nie zugelassen, dass Robbie das tut.«
»Ich bin da ein bisschen ratlos«, gab Paula zu. »Ich weiß nicht genau, was Robbie routinemäßig machte. Vielleicht könnten Sie mich aufs Laufende bringen? Sagen wir, von Donnerstagvormittag an?« Paula war nicht sicher, wie lange es dauerte, bis die Symptome einer Rizinvergiftung auftraten. Aber sie schätzte, wenn man bis Donnerstag zurückging, würde man auf jeden Fall den Zeitpunkt mit abdecken, zu dem es verabreicht wurde.
»Am Mittwochabend hatten wir ein UEFA-Pokal-Spiel, sie hatten also Donnerstagvormittag frei. Robbie kam zum Physiotherapeuten, er hatte einen Stoß am Fußgelenk abbekommen, und es war ein bisschen geschwollen. Nichts Ernstes, aber sie achten alle sehr auf ihre Kondition. Ihr Auskommen hängt ja davon ab. Jedenfalls war er um halb elf fertig. Ich nehme an, dass er nach Hause ging. Er hat eine Wohnung unten im Millennium Quarter, in der Nähe des Bellwether Square. Am Donnerstagnachmittag erschien er zum Training. Wir hatten nur eine leichte Trainingseinheit, es ging mehr um Geschicklichkeit als um taktische Spielzüge. Um halb fünf waren wir fertig. Und ich weiß nicht, was er danach gemacht hat.«
»Sie haben keine Ahnung, wie er seine Freizeit verbrachte?«
Genau wie ein Sohn für dich , dachte Paula sarkastisch. Robbie Bishop mochte wohl sechsundzwanzig Jahre alt sein, aber wenn er den meisten Fußballern glich, über die sie in den Sensationsblättern gelesen hatte, war er mit seiner psychischen Entwicklung wahrscheinlich zurückgeblieben, und sein Lebensstil glich dem eines Sechzehnjährigen, der unbegrenzt viel Taschengeld erhielt und jederzeit schöne Frauen kriegen konnte. Die letzte Person, die wüsste, was er trieb, wäre jemand in einer
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