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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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und die Zuschauerperspektive vorherrschten.
    Und dann war Carol Jordan gekommen. Weder eines seiner Lehrbücher für Psychologie noch Tausende Stunden praktischer Arbeit hatten ihn auf jemanden vorbereitet, der all seine Abwehrmechanismen einfach durchbrach, als existierten sie nicht. Es war zugleich zu einfach und zu kompliziert. Wäre sie oder er anders gewesen, hätten sie sich vielleicht ineinander verlieben und die Sache hinter sich bringen können. Aber am Anfang hatte es zu viele Haken und Hindernisse gegeben, und jetzt schien es, dass ihnen die Welt jedes Mal, wenn sie vorsichtig eine Hingabe in Betracht zogen, riesige Steine in den Weg legte.
    Meistens wünschte er sich, es wäre anders. Aber manchmal, wie zum Beispiel jetzt, erkannte er, dass es vielleicht für sie beide genügte zu wissen, dass es wenigstens eine Beziehung in ihrem Leben gab, die niemals dadurch lahmgelegt wurde, dass sie ihre Bedürfnisse erfüllen mussten. Was immer sie für einander taten, hatte nur diese eine Bedeutung. Als sie ihm den drahtlosen Internetanschluss vom Krankenhausbett aus ermöglichte, hatte sie keine Hintergedanken gehabt. Und jetzt würde er die Welt der Informationen im Netz und in seinem Kopf durchforsten, einfach weil er das konnte.
    Als die Schwester wiederkam, schluckte er brav sein Medikament, legte sich hin und ließ seine Gedanken schweifen. Wann immer es kein offensichtliches Motiv gab, hatte er das Talent, trotzdem eine Bedeutung zu finden. Was konnte Robbie Bishops Mörder von seiner Tat gehabt haben? Das zu erkennen wäre ein riesiger Schritt bei dem Versuch, diesem Fremden ein Gesicht und eine Gestalt zu geben. Und Gott sei Dank brauchte er für einen solchen riesigen Schritt nicht zwei gesunde Knie. Nur ein Gehirn, dem man vielleicht mit den wunderbaren chemischen Beruhigungsmitteln, die jetzt in seinen Blutkreislauf eindrangen, auf die Sprünge helfen konnte.

    Ein Sender, der rund um die Uhr Nachrichten bringt, ist immer auf brandheiße Schlagzeilen aus. Nach Robbie Bishops Tod war der Medienzirkus vom Krankenhaus zum Bradfield-Victoria-Stadion gezogen. Die Neuigkeit hatte sich so schnell verbreitet, dass die meisten Medienvertreter vor den Fans dort ankamen, weil sie ihre Fahrzeuge schneller erreichten. Zunächst waren mehr Journalisten und Kamerateams da als Trauernde. Sie standen in der kalten Abendluft herum, rissen makabre Witze und warteten auf die Action, die ihres Wissens schon bald genug kommen würde.
    In weniger als einer Stunde hatten sie das, was sie sich wünschten. Hunderte, deren Atem in Wölkchen um ihre Köpfe schwebte, liefen im Schatten der schräg ansteigenden Zuschauertribüne an der Grayson Street umher. Schon war das Eisengeländer, das die Grenze markierte, zum Stützwerk für Blumensträuße aus dem Supermarkt, bändergeschmückte Teddybären, Trauerbotschaften, Beileidskarten und Fotos von Robbie geworden. Unglückliche Frauen weinten, Männer in den kanariengelben Trikots des Vereins sahen so niedergeschlagen aus, als hätte der Verein gerade ein Heimspiel null zu fünf verloren. Kinder waren verwirrt, Jugendliche kamen sich betrogen vor. Reporter schoben sich dazwischen und hielten ihnen Mikrofone und Aufnahmegeräte hin, um banale, sentimentale Gefühle aufzunehmen. Als Vorsichtsmaßnahme gegen eventuelle Ausschreitungen beobachtete die Polizei die trauernde Menge diskret.
    Yousef und Raj gehörten mit zu den Allerersten, die eintrafen. Yousef war misstrauisch und verlegen. Er hielt sich, abgesehen von den Polizisten und den Medien, für den wahrscheinlich Einzigen, der weder Hemd noch Schal in den Vereinsfarben trug. Als zwei Fernsehreporter ihn um seine Meinung baten, lehnte er höflich ab und schleppte den protestierenden Raj von den Mikros und Kameras weg. »Warum kann ich nix sagen?«, fragte Raj.
    »Du bist doch hier, weil du trauerst, nicht um deine Fresse im Fernsehen zu zeigen«, entgegnete Yousef. »Hier geht es nicht um dich, kapierst du das nicht?«
    »Das ist nicht fair. Ich hab Robbie wirklich gern gehabt. Ich mag die Vics. Der Hälfte von den Leuten, die hier in die Glotze oder ins Radio kommen, geht das Team doch nächste Woche wieder am Arsch vorbei. Sie wollen nur mitmischen.« Raj schlurfte hinter seinem Bruder her.
    »Dann lass sie doch.«
    Ein weiterer Reporter streckte ihnen ein Aufnahmegerät entgegen. »Von manchen Leuten wird Robbie Bishops Tod mit der Herstellung von Rizin durch islamische Terroristen in Verbindung gebracht«, laberte er. »Was

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