Schleichendes Gift
Erlaubnis zu bitten, drückte sie auf den Knopf und rief eine Schwester.
»Was machst du da?«
»Dir unter die Arme greifen.« Sie zog ihren Stuhl heran, damit sie den Bildschirm sehen konnte.
Tony tippte die Internetadresse ein, und eine Seite mit dem Werbebanner »The Best Days of Our Lives« erschien. Für einen Mitgliedsbeitrag von nur fünf Pfund im Jahr wurde der beste Service in Britannien versprochen, um alte Schulfreunde und Arbeitskollegen wieder zusammenzubringen. Eine kurze Nachforschung ergab, dass man nach der Registrierung alte Kontakte suchen und sich per E-Mail, die von der Website-Verwaltung weitergeleitet wurde, an sie wenden konnte. »Warum sollte Robbie Bishop daran interessiert gewesen sein, mit ehemaligen Schulkameraden Kontakt aufzunehmen?«, fragte Tony. »Ich hätte eher gedacht, dass sie sich vor Eifer überschlagen würden, um mit ihm in Verbindung zu kommen.«
Carol zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte er eine alte Flamme suchen, die ihn verlassen hatte? Er war nach der Auflösung seiner Verlobung frei und ungebunden.«
»Das glaube ich nicht. Er sah gut aus, war reich und hatte Talent. Überall, wo er hinkam, lagen ihm die Frauen zu Füßen. Und offenbar war er ganz zufrieden damit, einige von ihnen einzufangen. Er war mit ’ner sehr coolen Trophäenfrau verlobt. Wenn er heimlich noch eine andere verehrte, die ihn abgewiesen hatte, als er fünfzehn war, würde er sich nicht so benehmen. Und er hätte in der Sache früher etwas unternommen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das passt in psychologischer Hinsicht überhaupt nicht. Wissen wir mit Sicherheit, dass es Robbies Schrift ist?«
»Nein. Der Zettel ist im Moment bei den Kriminaltechnikern. Meinst du, er wurde Robbie zugesteckt?«
»Er sagte Phil Campsie, er trinke gerade etwas mit jemandem von seiner Schule. Vielleicht hat ihm dieser, wer immer es auch war, vorgeschlagen, er solle doch auf der Seite nach Kameraden von früher suchen. Robbie hat zwar kein Interesse, will aber nicht unhöflich sein, steckt also den Zettel in die Tasche und vergisst ihn.«
»Könnte sein. Klingt plausibel.«
Tony öffnete ein Fenster und tippte hinein: »Harriestown High School, Bradfield.«
»Du weißt, wo er zur Schule ging?« Carol klang misstrauisch.
»Ich gucke doch Fußball, Carol. Ich weiß, wo er aufgewachsen ist. Seine Mutter und sein Vater wohnen noch im gleichen Haus in Harriestown. Er bot an, ihnen ein neues Haus zu kaufen, aber sie wollten da bleiben, wo sie hingehören.«
»Solche Sachen erfährt man aber nicht vom bloßen Zuschauen bei den Spielen.«
Tony hatte wenigstens den Anstand, beschämt zu wirken. »Na und? Ab und zu lese ich im Internet mal Klatsch und Tratsch. Deshalb bin ich noch kein schlechter Mensch. Sieh dir das an.« Er zeigte auf den Bildschirm, wo ein Foto der Harriestown High School zu sehen war, ein Kasten aus Beton und Glas aus den sechziger Jahren, der an den alten Kern eines viktorianischen Backsteingebäudes grenzte. Unter einer kurzen Geschichte der Schule stand ein Absatz mit der Überschrift »Berühmte Ehemalige«. Zwei Parlamentsabgeordnete, zwei Rockbands, die während der Britpop-Zeit einen nicht allzu tiefen Eindruck in den Charts hinterlassen hatten, eine mittelmäßig bekannte Krimischriftstellerin, ein wenig bekannter Seifenopern-Star, eine Modedesignerin und Robbie Bishop. Noch zwei Klicks, und Tony hatte die Namen der früheren Schüler der Harriestown High School, die sie zur gleichen Zeit wie Robbie Bishop besucht hatten. »Wahrscheinlich ist hier der Name der Person zu finden, die, wer immer es auch war, ihm die Adresse gegeben hat.«
Carol stöhnte. »Na ja, das verkürzt die Liste etwas. Statt jede einzelne Person überprüfen zu müssen, die mit Robbie zur Schule ging, müssen wir jetzt nur die durchsehen, die bei ›Best Days of Our Lives‹ registriert sind und ihren Beitrag bezahlt haben.«
»Wenigstens suchen wir jetzt eine Nadel in einem Nähkasten statt in einem Heuhaufen.«
»Du glaubst, das macht es leichter? Das ist eben das Problem, wenn man nicht von einem klaren Motiv ausgehen kann. Man weiß nicht, wo man anfangen soll.«
Tony sah leicht gequält aus. »Und dafür bin ich also gut, stimmt’s? Derjenige, der die Möglichkeiten eingrenzt, wenn die Frage ›Wem bringt’s was?‹ zu nichts führt.«
Carol grinste. »So etwa. Und in diesem munteren Sinne überlasse ich dir die Sache. Ich muss nach London, um mit Robbies Ex zu sprechen.«
»Das ist wohl die
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