Schleichendes Gift
Also – jeder hat ja seine eigenen Top Ten, und auch bei Robbie war das nicht anders. Robbie und ich lagen oft sonntagmorgens im Bett und hörten uns all unsere Lieblingssongs an und stellten uns unsere Playlist für den Aufenthalt auf einer einsamen Insel zusammen. ›Score Steady‹ fand sich immer auf Robbies Hitliste. Heute Abend bin ich traurig. Ich habe jemanden verloren, der mir sehr wichtig war. Die Sendung heute Abend soll deshalb eine Erinnerung an den Mann sein, den ich liebte. Ein Mann, der etwas ganz Besonderes war. Keine Bange, ich mach jetzt keinen auf Tragik. Keine Tränen, nicht in den nächsten zwei Stunden. Stattdessen spiele ich die Stücke, die Robbie mochte. Dance und Trance, Hip Hop, Trip Hop und vielleicht sogar ein bisschen Akustik zum Chillen. Also sperrt die Ohren auf und lasst eure Füße machen, was sie wollen, zu ›Stack My Beats‹ von den Rehab Boys.« Bei den letzten Worten setzte schon der rasende Rhythmus ein und steigerte sich zu einer Drum’n’Bass-Nummer, die den Brustkorb zum Vibrieren brachte.
Carol drehte die Lautstärke herunter, damit sie ihr eigenes Wort wieder verstehen konnten. »Hört sich an, als hätte sie die Sache besser im Griff als die Nachrichtenreporter. Was ist mit ihrem Namen? Bindie? Ist das ein Spitzname? Oder irgend ’ne Abkürzung?«
»Abkürzung für Belinda, nach ihrer Website.«
Carol lächelte. Natürlich hatte sich Sam im Netz kundig gemacht. Er wandte stets alle Tricks an, um an Informationen zu kommen. Wenn das in den richtigen Bahnen lief, konnte es ein Vorteil für das Team sein. Aber Sam neigte von Natur aus nicht zur Teamarbeit. Carol musste immer dafür sorgen, dass er die anderen teilhaben ließ. »Aha. Ich wette, ihre Mutter ruft sie immer noch ›Belinda‹ und treibt sie damit zum Wahnsinn. Woher kommt sie denn? Ihr Akzent klingt eigentlich nicht nach dem Südosten, aber ich komm nicht drauf.«
»Sie ist von irgendwo aus East Anglia«, antwortete Sam, während er mit einem Finger auf das Steuerrad trommelte. »Aus der Gegend um Norwich, glaube ich. Sie ist gut.«
»Ich glaub, ich bin ’n bisschen zu alt für so etwas.«
»Weiß nich. Ich glaube, das hat mehr mit dem Geschmack als mit dem Alter zu tun. Ich meine, wenn es um Musik geht, teilen sich die Menschen in zwei Gruppen auf. Entweder hört man auf den Rhythmus, weil man es mag, wenn man die Bewegung im Inneren spürt. Oder man hört darauf, wie Text und Musik zusammenpassen. Eigentlich gibt es da nicht viele Überschneidungen. Ich würde Sie als jemanden einstufen, der Wert auf den Text legt.«
»Ich nehme an, das stimmt. Nicht dass ich dieser Tage viel Zeit für Musik hätte.« Sie schwiegen und ließen sich von der Musik berieseln.
Als das Stück vorbei war, nannte Bindie noch einmal den Titel. »Heute Abend haben wir alle gehört, dass Robbie vergiftet wurde. Ich begreife es einfach nicht. Man muss schon ein perverser Typ sein, um jemandem ein Gift zu verabreichen, bei dem es tagelang dauert, bis man stirbt. Zu so was gehört ’ne Menge Hass. Und ich verstehe nicht, wie irgendjemand Robbie so sehr gehasst haben kann, dass er ihn so quälen wollte. Wie kann man einen Mann hassen, der den nächsten Titel liebte?« Sie hatte recht. Die Musik hatte einen so ansteckenden Schwung, dass Carols Füße unwillkürlich im Takt wippten. Sie sah auf die Uhr. Sie würden ungefähr eine halbe Stunde vor dem Ende von Bindies Sendung in London sein. Hoffentlich war sie dann noch aufgedreht von ihrem Auftritt und in der Stimmung zu reden. Es war wichtig für Carol, dass Bindie offen mit ihr über Robbie sprach. Wenn das heute Abend möglich war, würde es ihr helfen, die Ermittlungen in Schwung zu halten. Das war viel wichtiger als Bindie Blyths Schönheitsschlaf. Oder übrigens auch ihr eigener.
Elf Uhr, und das Amatis belebte sich langsam. Die Beleuchtung war raffiniert, die Lautstärke umwerfend und die Luft drückend vom abgestandenen Geruch nach Alkohol, Zigaretten, Parfüm und warmen Körpern. Paula und Kevin hatten Chris im schmuddeligen kleinen Managerbüro zurückgelassen, wo sie die Befragung des Personals von der Bar und an der Tür fortsetzte. Sie hatte nicht viel Hoffnung, von ihnen irgendetwas Entscheidendes zu erfahren. »Zu dem Zeitpunkt, als Robbie mit seinem alten Kumpel zusammensaß, wäre Karno an der Reihe gewesen, hinter der Bar zu stehen«, hatte sie festgestellt. »Zu viele Gäste, die etwas von den Barmannschaft wollten. Ich bezweifle, dass sie auch nur
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