Schleichendes Gift
zu. »Besser, du gewöhnst dich dran, während ich dabei bin, falls du Probleme hast«, sagte er. »Manchmal hängt die Kupplung ’n bisschen, weißt du.«
Yousef war das mit der Kupplung egal. Wichtig war ihm nur, dass er den Lieferwagen übernehmen konnte, auf dessen Seite die Aufschrift »A1 Electricals« prangte. »Schon gut«, murmelte er, ließ den Wagen an und knallte den ersten Gang rein. Die Stereoanlage meldete sich so dröhnend laut mit einem Drum’n’Bass-Remix von Tigerstyle, dass Yousef zusammenfuhr. Er drehte am Lautstärkeknopf und stellte es ganz leise. »Schluss damit, Imran«, beklagte er sich. »Meine Ohren.«
»Sorry, Mann. Die schottischen Soldaten wissen, wie man draufhaut.« Imran knuffte ihn leicht gegen die Schulter. »Mann, ich werd auf Ibiza tolle Musik hören. Ich bin dir wirklich dankbar.«
»Ist schon okay. Clubs sind ja noch nie mein Ding gewesen«, sagte Yousef. Als ihm klargeworden war, dass ihr Plan sich viel leichter ausführen ließe, wenn er den Lieferwagen eines richtigen Handwerkers zur Verfügung hätte, wusste er gleich, dass sein Cousin Imran die Lösung des Problems war. Die Frage war dann nur, wie er Imran und seinen Wagen auf unverdächtige Weise für zwei oder drei Tage voneinander trennen konnte. Sie hatten ein paarmal darüber geredet und versucht, sich einen funktionierenden Plan auszudenken, und dann hatte Yousef eine zündende Idee. Es war nicht ungewöhnlich, Kunden und Zulieferern Werbegeschenke zu machen, um sich ihre Treue zu erhalten. Weder Yousef noch Sanjar hatten viel mit der Clubszene am Hut, aber Imran tanzte gern die Nächte durch. Yousef konnte vorgeben, dass er eine Reise mit drei Übernachtungen und Besuchen in diversen Clubs auf Ibiza geschenkt bekommen hätte und dass er sie als nette Geste an Imran weitergeben würde. Imran würde auf Ibiza sein und Yousef Zugriff auf den Lieferwagen haben.
Es hatte spitzenmäßig funktioniert. Imran hatte sich so sehr gefreut, dass er nicht einmal nachgefragt hatte, wieso sie in seinem Lieferwagen statt in Yousefs Wagen zum Flughafen fuhren. Jetzt versicherte Yousef: »Hab ich doch gern gemacht, Mann«, und meinte es auch so.
»Ja, aber, ich meine, du hättest die Reise ja an irgendjemand weiterverkaufen und dir Bargeld verschaffen können.« Dabei rieb Imran Finger und Daumen aneinander.
»He, du gehörst doch zur Familie.« Yousef zuckte leicht mit den Schultern. »Wir sollten doch füreinander da sein.« Ein stechendes Schuldgefühl beschlich ihn. Was er plante, würde das Herz seiner Familie spalten. Es würde dem Kaleidoskop einen Stoß versetzen und ein völlig anderes Bild seines Handelns entstehen lassen. Er glaubte kaum, dass ihn seine Verwandten in nächster Zeit für seinen Familiensinn loben würden.
»Ja, das sagen alle, allerdings wenn es darauf ankommt, Geld in der Tasche zu haben, ist das eine andere Sache«, sagte Imran boshaft. »Aber du hast mir imponiert, Cousin.«
»Na ja, geh’s vorsichtig an, da unten.«
»Ich pass schon auf.« Imrans Finger näherten sich langsam dem Lautstärkeknopf. »Nur ’n bisschen, hm?«
Yousef nickte. »Klar.« Die Musik hallte im Lieferwagen wider. Selbst bei geringer Lautstärke spürte er den Bass in seinen Knochen vibrieren. Er und Imran waren nur zwei Jahre auseinander, aber sein Cousin kam ihm wie ein Kind vor. Vor nicht allzu langer Zeit war er selbst noch so gewesen, aber er hatte sich verändert. Einiges war mit ihm geschehen. Dinge hatten ihn erwachsen werden und Verantwortung übernehmen lassen. Wenn er Imran jetzt betrachtete, schien es ihm, als gehörten sie verschiedenen Generationen an. Sogar als kämen sie von verschiedenen Planeten. Es war erstaunlich, wie einen die Weltsicht eines anderen Menschen dazu bringen konnte, zu hinterfragen, was man sein ganzes Leben als selbstverständlich hingenommen hatte. In letzter Zeit hatte Yousef verstehen gelernt, wie die Welt wirklich funktionierte, und dieses Wissen ließ so ziemlich alles, was man ihn zu glauben ermutigt hatte, unsinnig erscheinen.
»Das Einzige, was mir wirklich leidtut, ist, das Spiel am Samstag zu verpassen. Es wird ’ne große Sache, Abschied von Robbie. Geht Raj hin?«
Yousef nickte. »Er ist kaum zu halten, Mann. Kommt einem vor, als wäre Sanjar oder ich gestorben, nicht irgendein Fußballer.«
Imran ließ sich auf seinem Sitz zurückfallen. »Moment mal! Das ist jetzt aber Verrat. Robbie war nicht ›irgendein Fußballer‹.« Er machte das Zeichen für
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