Schleichendes Gift
vergessen.«
»Können Sie mir etwas näher beschreiben, was da geschah?«
»Sie denken doch wohl nicht, dass das etwas mit Robbies Tod zu tun hat? Er war ein jämmerlicher Niemand, nicht irgendein kriminelles Genie.«
»Ich würde meine Arbeit nicht gut machen, wenn ich nicht jeder Möglichkeit auf den Grund ginge«, sagte Sam. »Erzählen Sie mir also alles über den Typen.«
»Es fing mit Briefen, Karten, Blumen und solchen Dingen an. Und dann erschien er plötzlich, wenn ich als DJane in Clubs auftrat. Meistens ließen sie ihn nicht rein, weil er zu komisch oder freakig oder wie auch immer aussah. Aber manchmal kam er an den Türstehern vorbei und hing neben der Bühne oder der DJ-Kabine herum und versuchte mit mir zu sprechen oder sich mit mir fotografieren zu lassen. Es war lästig, schien aber ziemlich harmlos. Dann hatten Robbie und ich eines Abends in aller Öffentlichkeit Krach. Sie wissen, wie so was ist. Ein paar Drinks, die Dinge geraten etwas außer Kontrolle. Wir haben uns schließlich draußen vor einem Club angeschrien. Die Paparazzi kriegten es mit, es war überall in den Zeitungen und Zeitschriften. Ich meine, wir hatten uns schon wieder versöhnt, bevor die Bilder veröffentlicht waren, aber in die Schlagzeilen schaffen es ja immer die Streitereien und nicht die Versöhnung.« Er hörte, dass sie sich eine Zigarette anzündete, und wartete, bis sie fortfuhr. Und wartete. Ein Trick, den er von Paula gelernt hatte.
»Also, dieser Kerl macht es sich zur Aufgabe, meine Ehre gegen diesen üblen Freund zu verteidigen, der mich nicht so behandelt, wie er sollte. Er spricht Robbie darauf an, als der das Hotel in Birmingham verlässt, wo das Team untergebracht ist. Fängt an, ihm die Leviten zu lesen. Keine Tätlichkeiten, er wurde nur laut, und es war etwas peinlich, wie Robbie sagte. Obwohl Robbie natürlich der Letzte wäre, der zugegeben hätte, dass er Angst hatte. Jedenfalls wurde die Polizei gerufen, sie nahm den Kerl fest und steckte ihn in eine Zelle. Hat sich gezeigt, dass das nur der Weckruf war, den er brauchte. Ich habe mit einem Polizisten gesprochen, der sagte, der Typ hätte alles eingesehen, nachdem ihm die möglichen Konsequenzen seines Benehmens erklärt worden waren. Es tat ihm schrecklich leid, und er begriff, dass ihm die Dinge über den Kopf gewachsen waren. Und natürlich würde er mich und Robbie in Zukunft in Frieden lassen. Also ließen sie ihn mit einer Verwarnung laufen. Und ehrlich gesagt, habe ich seitdem nichts mehr von ihm gehört. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Sam fand, dass das alles zu glatt klang. Nach allem, was er über Stalker wusste, packten sie nicht einfach ein und gingen nach Hause, wenn jemand sie bedrohte. Wenn sie dumm waren, setzten sie ihre Belästigungen fort und verstärkten sie noch, bis sie schließlich eingesperrt wurden. Und in dem Stadium ging es oft schon heftig zu. Wenn sie schlau waren, suchten sie sich ein anderes Objekt ihrer verschrobenen Zuneigung, oder sie wurden raffinierter. Da brauchte man nur Yoko Ono zu fragen. »Sie haben wirklich seit damals nichts von ihm gehört?«
»Nein. Nicht mal eine Beileidskarte wegen Robbie.«
»Haben Sie viele bekommen?«, fragte Sam.
»Gestern wurden bei der BBC siebenundvierzig abgegeben. Ich nehme an, dass heute noch mehr mit der Post kommen werden.«
»Wir werden uns die vielleicht ansehen müssen.«
Bindie sagte entnervt: »Sie hat recht gehabt, Ihre Chefin. Bei einer Ermittlung wegen Mordes gibt es nichts Privates mehr. Was soll ich machen? Sie in Umschläge stecken und Ihnen schicken?«
»Wenn Sie sie in einen Umschlag stecken könnten, werde ich sie abholen lassen. Natürlich wann es Ihnen passt. Wenn wir nur noch einmal kurz zurückkommen …«
»Er hieß Rhys Butler. Wohnte in Birmingham. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Alle Briefe und Karten habe ich den Polizisten in Birmingham übergeben. Nur für den Fall, dass er wieder loslegt.«
»Danke. Sie können meine Gedanken lesen.«
Bindie schnaubte. »Da braucht man kaum ein Booker-Prize-Gewinner zu sein.«
Sam hasste Zeugen, die sich schlauer vorkamen als die Ermittler. »Es wäre auch gut, den Namen des Polizisten zu wissen, der mit Ihnen gesprochen hat«, sagte er und gab sich Mühe, den sarkastischen Tonfall zu unterdrücken.
»Warten Sie einen Moment, ich habe die Daten irgendwo …« Das Geräusch einer Bewegung, eine Schublade wurde aufgezogen, noch eine Zigarette angezündet. Endlich gab sie die Information
Weitere Kostenlose Bücher