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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Schloss daraus. Das Beste ist, wenn sie fertig sind, tue ich so, als sei ich der Feind, der sie einstürzen lässt, und bin damit äußerst zufrieden. Ich sitze also mit meinen Halfpennys auf dem Teppich und kümmere mich um nichts weiter. Gran sieht fern, aber es ist eine Sendung für Erwachsene, die mich nicht interessiert.
    Die Tür geht auf, und meine Mutter kommt rein, ganz regennass vom Heimweg von der Bushaltestelle. Sie riecht nach Rauch, Nebel und schalem Parfüm. Sie zieht ihren Mantel aus, als wolle sie gegen ihn ankämpfen, lässt sich auf den Sessel fallen, sucht in ihrer Tasche nach ihren Zigaretten und seufzt. Gran presst die Lippen aufeinander und steht auf, um Tee zu machen. Während sie weg ist, beachtet mich meine Mutter nicht, legt den Kopf in den Nacken und bläst Rauch an die Decke. Wenn ich mir jetzt ihr Gesicht vorstelle, erscheint es mir gereizt, so als fände sie, ihr werde zu viel zugemutet. Als Kind konnte ich das nicht ausdrücken, aber ich wusste schon damals genau, dass es besser war, Abstand zu halten.
    Gran bringt den Tee herein und reicht meiner Mutter einen Becher. Sie nimmt einen Schluck, verzieht aber das Gesicht, weil er zu heiß ist, und stellt ihn dann auf die breite Sessellehne. Sie muss mit dem Ärmel daran hängengeblieben sein, als sie die Hand wegnimmt, und er kippt auf ihren Schoß. Sie springt auf, hat sich verbrannt und vollführt einen komischen kleinen Tanz, dass die Halfpennys nach allen Seiten fliegen.
    Und ich lachte.
    Ich lachte sie nicht aus. Der Himmel weiß, ich wusste nur zu genau, dass Schmerz nie komisch ist. Es war ein nervöses Lachen, ausgelöst durch Angst und Überraschung. Aber meine Mutter war außer sich vor Schmerz und Schock und verstand das überhaupt nicht. Sie zog mich an den Haaren auf die Beine und gab mir eine so kräftige Ohrfeige, dass mein Gehör versagte. Ich sah, wie sich ihr Mund bewegte, konnte aber nicht das Geringste hören. Meine Kopfhaut zog sich vor Schmerz zusammen, und mein Gesicht brannte, als wäre ich mit einem Bündel Nesseln geschlagen worden.
    Als Nächstes schubst Gran meine Mutter auf den Sessel zurück. Mum lässt beim Zurückfallen meine Haare los, dann packt mich Gran an der Schulter, führt mich in die Diele und bugsiert mich so energisch in den Schrank, dass ich von der Rückwand abpralle. Als die Tür wieder aufgeht, ist es bereits Morgen.
    Ich weiß nur deshalb, dass das kein einmaliges Ereignis war, weil ich so viele verschiedene Bruchstücke der Erinnerung an Aufenthalte im Schrank habe. Aber insgesamt fehlen mir die kompletten Vorfälle. Mehrere Fachleute haben mir Hilfe angeboten, die Gedächtnislücken zu schließen, als ob das wünschenswert wäre. Als wäre es eine Wohltat für mich, Zugriff auf weitere schöne Erinnerungen wie diese zu haben.
    Sie sind verrückter als ich«, seufzte er. »Und jetzt ist sie wieder da. Sie war so lange aus meinem Leben verschwunden, dass ich mir vormachen konnte, ich sei über sie hinweggekommen. Wie über eine unglückliche Liebesaffäre. Aber so ist es nicht.« Er rollte ein Stück nach vorn und schob das Schubfach zu. »Danke, dass du mir zugehört hast. Ich schulde dir einen Gefallen.«
    Tony blinzelte die Tränen aus seinen Augen weg und fuhr mit dem Rollstuhl zum Telefon hinüber. Er wusste nicht genau, warum, aber etwas hatte sich in ihm bewegt, und irgendwie war ihm leichter. Er wählte die Durchwahl des Transportdienstes. »Hi«, sagte er. »Ich bin fertig.«

    Mutter des Satans, so nannten sie das Endprodukt, auf das Yousef aus war. Acetonperoxid, TATP. Vermutlich hatte es den Spitznamen wegen seiner Instabilität bekommen. Und deshalb war er vorsichtiger, als er es jemals im Leben gewesen war. Vorsicht machte es möglich, außergewöhnliche Dinge zu tun. Die Londoner U-Bahn-Bomber hatten es in Rucksäcken herumgetragen. Waren damit in Züge ein- und wieder ausgestiegen. Gingen vom Zug zur U-Bahn. Wenn er es also richtig machte, wäre es sicher. Bis er nicht mehr wollte, dass es sicher war, natürlich.
    Er las noch einmal die Anweisungen, die er sich nicht nur eingeprägt, sondern auch in großer Schrift ausgedruckt hatte. Jetzt befestigte er die Blätter an der Wand über seinem provisorischen Labortisch. Er zog seine Schutzkleidung an, nahm eine Chemikalie nach der anderen aus dem Kühlschrank und stellte die drei Gefäße auf den Tisch. Achtzehnprozentiges Wasserstoffperoxid von einem Lieferanten für Chemikalien zum Bleichen von Holz. Reines Aceton von einer

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