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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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etwas zu beweisen. Ihr lebt euren Beruf. Und jeder will der Beste sein, also geht ihr los, jeder mit seiner eigenen kleinen Mission.« Er klang jetzt ärgerlich. »Wenn es funktioniert, ist das toll. Und wenn nicht …«
    »Don Merrick.« Paula musste sich anstrengen, um ihre Stimme nüchtern und emotionslos zu halten.
    Tony schlug mit der Faust auf die Matratze. »Verdammt, Paula, lass das doch. Es war nicht deine Schuld.«
    »Er wollte uns allen zeigen, dass er seine Beförderung verdient hatte. Dass er es wert war, zu unserer kleinen Elitetruppe zu gehören.« Paula schaute weg. Es gab Dinge, die Tony immer noch nicht sehen sollte. »Du hast recht. Wir folgen unseren eigenen Gesetzen.«
    »Dann hilf mir doch damit.«
    Er ist unheimlich hartnäckig, dachte sie. Diese Weigerung, ein Nein als Antwort anzuerkennen, machte ihn zu einem großen klinischen Psychiater. Aber manchmal machte es ihn auch wirklich unerträglich. Sie fragte sich, wie Carol damit umging. »Wenn ich kann«, antwortete sie. »Ich verspreche nichts.«
    »Ich verlange es nicht«, stellte er klar. »Ich würde dich nicht darum bitten, wenn ich nicht meinte, dass es wichtig ist, Paula.«
    Sie nickte, denn sie fühlte sich verpflichtet und wurde so widerwillig zur Komplizin. »Und wenn alles rauskommt, gebe ich dir die Schuld.«
    Tony lachte. »Natürlich. Schließlich kann ich sie, wenn sie versucht, mich zu feuern, immerhin aus der Wohnung werfen.«

    Eine Fahrt auf der A1 am Freitagnachmittag war eine Erfahrung, die garantiert die Nerven auch des geduldigsten Fahrers strapazierte. Es war schon lange her, dass jemand Sam Evans ein Übermaß an Geduld vorgeworfen hatte, und auch Carol Jordan war nicht besser. Wie die meisten Beifahrer war sie überzeugt, sie könnte schneller ans Ziel kommen als die Person am Steuer.
    Als sie sich der Washington-Raststätte näherten, kam der Verkehr zum Stehen. Lkws, Lieferwagen und Pkws bildeten ein frustrierendes Durcheinander von Fahrzeugen, was noch schlimmer wurde durch die Opportunisten, die immer wieder durch Wechseln der Fahrspur versuchten, schneller voranzukommen. Silbrig, weiß und schwarz bildeten sie im dichter werdenden Dunkel des Spätnachmittags einen monochromen Fleck in der Landschaft. »Das nimmt uns die Entscheidung ab«, stellte Carol fest und zeigte auf die vielen Fahrzeuge um sie herum.
    »Wie bitte?« Sam klang, als hätte sie ihn von einem Ort weit weg hergeholt, den er nur widerstrebend verlassen wollte.
    »Ob wir ihn uns bei der Arbeit oder zu Haus vornehmen. Wir haben so lange gebraucht, dass es keinen Sinn mehr hat, etwas anderes als seine Wohnung in Betracht zu ziehen.« Sie blätterte durch die Seiten mit der Route, die sie vor Antritt der Fahrt ausgedruckt hatte. »Wir hätten meinen Wagen nehmen sollen, da hätten wir GPS«, murmelte sie, als sie sich zu orientieren versuchte, wie weit sie eigentlich noch von ihrem Ziel entfernt waren.
    Es dauerte fast eine ganz Stunde, Rhys Butlers Adresse zu finden, ein kleines rotes Vierzimmerhaus aus Backstein mitten in einer Reihenhauszeile einer Straße, die genauso aussah wie ein weiteres Dutzend und die alle zum Town Moor hinunter führten. Das Haus sah deprimierend reparaturbedürftig aus, als werde es nur noch durch die reine Willenskraft der Nachbarhäuser auf beiden Seiten aufrecht gehalten. Es brannte weder Licht, noch war ein Auto vor der Tür zu sehen. Carol sah auf ihre Uhr. »Er ist wahrscheinlich auf dem Heimweg. Warten wir noch ’ne halbe Stunde.«
    Ein paar Straßen weiter fanden sie ein Pub. Die freundliche Stimmung entschädigte dafür, dass die letzte Renovierung schon sehr lange her sein musste. Es war von drei unterschiedlichen Gruppen gut besucht: junge Männer, die Lagerbier tranken und kurzärmelige Hemden über Jeans oder Chinos trugen; ältere Männer in Sweatshirts und Jeans mit in die Gesäßtasche gestopften Wollmützen und rauhen Händen von der körperlichen Arbeit, die Bitter und Newcastle Brown Ale tranken, sowie junge Frauen, so spärlich bekleidet, dass es selbst im Hochsommer optimistisch gewirkt hätte. Außerdem trugen sie ungeschickt aufgetragenes Make-up und schütteten Bacardi Breezer und Wodka in sich hinein, als glaubten sie, dies werde ihr letzter Abend sein. Alle, die Carol und Sam bemerkten, starrten sie an, aber ohne Feindseligkeit. Eher mit dem Blick eines Naturforschers, der eine bislang noch nicht katalogisierte Oryxantilope betrachtete. Als wirkten die beiden leicht exotisch, gäben aber keinen

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