Schleier des Herzens (German Edition)
verdient. Amir erinnerte sich daran, wie sein Freund Ayeshas Stimme gestern geradezu mit Andacht gelauscht hatte. Die Lautenspielerin ... war sie nicht eine der Preziosen aus der Schule Khalidas? Amir grinste. Dann gab er einem der älteren Eunuchen ein paar Befehle.
»Der Emir bittet mich, ein paar Stunden lang seinen Freund Hammad zu unterhalten ...«
In Ayeshas Stimme mischten sich Freude und Missfallen.Einerseits hatte auch die dunkelhaarige Sängerin den schlanken, starken Hammad wohlgefällig betrachtet, als er gestern die Räume des Emirs noch einmal inspiziert hatte. Andererseits war eine Haremsschönheit ihres Ranges keine Hure, die man irgendwelchen Gästen zur Unterhaltung ins Bett legte. Amir hatte die Aufforderung wohlweislich als ›Bitte‹ forniuliert.
»Na, dann geh doch, der Knabe sieht recht viel versprechend aus«, lachte Susanna. »Der hätte mir auch gefallen, als ich jung war.«
»Du meinst, du sollst ihm zu Willen sein?«, fragte Beatriz entsetzt. »Ayesha, wie kann er das fordern?«
Ayesha lächelte. »Er fordert nicht, er bittet, und eigentlich ist ja eben dies meine Bestimmung. Ich wurde schon zu lange nicht mehr gerufen, meinen Herrn glücklich zu machen.« Sie hatte sich inzwischen entschieden, dass ihre Freude überwog, und wurde fast übermütig. »Und ist es nicht gottgefällig, wenn man seine Arbeit gern tut? Aber vorher probiere ich auch noch einmal die privaten Bäder des Emirs. Das wird einem wohl nur einmal im Leben vergönnt. Machst du mir anschließend das Haar, Susanna?«
Ayesha rauschte hinaus, während Beatrix kopfschüttelnd zurückblieb,
Susanna putzte die Räume des Emirs, solange Ayesha badete. Sie mussten jetzt schleunigst hier heraus, bevor der ›Wesir‹ es als schicklich betrachtete, Mammar zu wecken.
Beatriz freute sich darauf, in ihren vertrauten Gemächern Zuflucht zu finden. Susanna fragte sich allerdings, wie lange ihre Gelassenheit anhalten würde. Amir hatte der Zofe gesagt, er werde sie in Beatriz’ Räumen erwarten.
Mustafa und ein weiterer Eunuch führten die Frauen sicher über die Treppe und an den Dienerwohnungen vorbeizurück in den Harem. Dort waren inzwischen die Flure gesäubert, die Blutflecken weggewischt und die Leichen entfernt worden. Nur die fast unnatürliche Stille in den Räumen, wo sonst Mädchenlachen und Geplauder erklangen, erinnerte an die gestrigen Gräuel.
Susanna hatte Beatriz sorgfältig angekleidet. Sie trug ein dunkelblaues Gewand, durchwirkt mit Goldfäden. Die Zofe hatte aber keinen Grund gefunden, ihr auch noch das Haar zu schmücken. Schließlich wollte Beatriz nur in ihre Gemächer und schlafen. Tief schlafen und die ganzen, schrecklichen Ereignisse für ein paar Stunden vergessen. So hatte sie nur rasch einen blauen Schleier um ihr Haar gewunden und die Cobija vor ihr Gesicht gezogen. Sie nahm sie aufatmend ab, als sie ihr Schlafzimmer betrat.
Aber was war das? Beatriz hätte beinahe aufgeschrieen. In ihrem Bett lag bereits ein anderer Schläfer. Amir hatte hier auf sie warten wollen, in seiner Hand noch eine Rose, die er in den Gärten für sie gepflückt hatte. Aber dann musste er seiner Erschöpfung erlegen sein. Der junge Emir schlummerte wie ein Kind.
Beatriz bezähmte ihren Schrecken. Nur keinen Lärm machen! Nur den Eindringling nicht wecken! Andererseits kamen Eindringlinge mit Schwertern, nicht mit Rosen, und sie schliefen auch nicht mit unschuldig gelösten Zügen auf den Betten ihrer Opfer ein. Beatriz entspannte sich. Wider Willen saugte sich ihr Blick an ihrem Gast fest. Wie jung er noch war! Jetzt, da der Schlaf die Anspannung vom Gesicht des Herrschers genommen hatte, wirkten seine feinen Züge weicher. Sicher, sein Gesicht war scharf geschnitten, mit klaren Konturen, die Nase vielleicht etwas spitz, die Lippen schmal. Aber jetzt waren sie leicht geöffnet, ließen den Blick auf schneeweiße Zähne frei und verrieten Empfindsamkeit und Verletzlichkeit trotz aller Kraft. Seine Wimpern waren betörendlang, auch das gab diesem harten Männergesicht eine kindliche Note. Die Augenbrauen waren tief dunkel und klar abgesetzt; Beatriz ertappte sich dabei, dass sie gern darüber gestreichelt hätte. Und sein Haar fiel in dunkler Fülle über das Kissen, er trug es länger als die meisten Mauren, in der Mitte gescheitelt.
Beatriz’ Blick wanderte hinunter zu seinem Hals, kräftig und sehnig, und zu seiner Brust. Sie war unbehaart, die meisten Mauren rasierten sich am Körper. Das ließ die enorme
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