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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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Fenster dieses »Weibsbildes« Uhren hatte fallen lassen, so war das verbunden mit der Tatsache seiner späten Heimkehr in der bewußten Nacht, so war das – – –
    Bei dieser Stelle erhob sie sich und suchte ihren Mann auf. Er leugnete alles, nur nicht sein Eigentumsrecht an derUhr. Sie beschwor ihn, bei seiner Seelen Seligkeit die Wahrheit zu sagen. Er leugnete abermals und fluchte. Ein eisiges Schweigen herrschte während einer Pause von fünf tiefen Atemzügen.
    Die Rede, die darauf folgte, geht uns nichts an. Sie war aufgebaut auf weiblicher und ehelicher Eifersucht, auf das Bewußtsein ihres verblühten Alters, auf tiefem Argwohn, der aus dem Texte stammt, der da sagt, daß selbst die Herzen der Säuglinge böse sind von Jugend auf; aufgebaut auf giftigem Haß gegen Mrs. Larkyn und auf die Grundsätze des Glaubens, in dem die Frau Oberst erzogen war.
    Und zu allem tickte die verruchte Waterbury-Uhr in ihrer dürren, zitternden Hand. In dieser Stunde, glaube ich, fühlte die Frau Oberst ein Teil von dem nimmermüden Argwohn, den sie dem alten Laplace eingegeben hatte, ein wenig von dem Jammer der armen kleinen Miß Haughtree, und etwas von dem Kummer, der an Buxtons Herzen nagte, als er seine Frau vor seinen Augen sterben sah. Der Oberst versuchte stammelnd zu erklären. Aber er erinnerte sich, daß seine Uhr verschwunden gewesen war, und das Geheimnis wurde noch dunkler. Die Frau Oberst predigte und betete abwechselnd, bis sie müde war. Dann ging sie, um auf Mittel zu sinnen, wie sie das »verstockte Herz ihres Gatten demütigen könne«. In unserer Sprache nennt sich das »zwiebeln«.
    Völlig durchdrungen von der Lehre über die Erbsünde, konnte und konnte sie ihm nicht gegen den Schein glauben. – Sie wußte zu viel und verstieg sich zu den wildesten Schlußfolgerungen.
    Aber es geschah ihr recht. Es verdarb ihr Leben, wie sie das Leben der Laplace verdorben hatte. Sie verlor das Vertrauen zum Oberst, denn er hatte, – und hierin lag das Bekenntnis ihres Argwohns, – vielleicht, so folgerte sie, schon viele Male gesündigt, ehe die gütige Vorsehung an der Handeines so unwürdigen Werkzeuges wie Mrs. Larkyn seine Schuld aufgedeckt hatte. Er war ein gemeiner, böser, grauköpfiger Wüstling. Das mag wohl als ein gar zu plötzlicher Umschlag in der Gesinnung einer so lange verheirateten Frau erscheinen. Aber es ist eine altehrwürdige Tatsache, daß Mann oder Frau, denen es zur Gewohnheit und zum Vergnügen geworden ist, von gleichgültigen Menschen Böses zu denken und zu sagen, schließlich auch ihren Liebsten und Allernächsten das Schlechteste zutrauen. Man könnte auch meinen, daß der Fall mit der Uhr zu klein und zu unbedeutend sei, um ein solches Mißverständnis herbeiführen zu können. Aber es ist eine zweite uralte Wahrheit, daß die größten Unfälle im Leben, ganz wie bei einem Rennen, sich vor kleinen Gräben und niedrigen Hürden ereignen. In ähnlicher Weise zermürben sich Frauen, die in einem anderen Jahrhundert, unter anderen Lebensbedingungen zu einer Jungfrau von Orleans geworden wären, an den kleinlichsten Haushaltssorgen. Aber das ist eine andre Geschichte.
    Ihr Glaube machte die Frau Oberst nur noch elender, weil er so hartnäckig an der Schlechtigkeit der Menschen festhielt. Und in der Erinnerung ihrer eigenen Taten mußte es Freude machen, ihr Unglück und ihre Vertuschungsversuche vor der Garnison, die keinen Pfifferling wert waren, mitzusehen. Aber die Garnison wußte alles und lachte unbarmherzig, denn man hatte die Geschichte der Uhr mit vielen dramatischen Gesten von Mrs. Larkyns Lippen gehört.
    Ein- oder zweimal sagte Platte zu Mrs. Larkyn, weil er sah, daß der Oberst sich nicht reinwaschen konnte: »Die Sache ist nun weit genug gegangen. Ich denke doch, wir sagen jetzt der Frau Oberst, wie es gekommen ist.« Aber Mrs. Larkyn preßte kopfschüttelnd ihre Lippen fest aufeinander und erklärte, die Frau Oberst müsse ihre Strafe tragen,so gut sie könnte. Mrs. Larkyn war wirklich eine frivole Frau, und niemand hätte ihr so tiefen Haß zugetraut. Darum tat Platte auch nichts, und das Schweigen des Obersten ließ ihn allmählich glauben, daß er in der Tat in jener Nacht doch irgendwie »über die Schnur gehauen« hatte, und sich deshalb für das geringere Vergehen, außerhalb der Besuchszeit in fremder Leute Hof eingedrungen zu sein, verurteilen ließ. Platte vergaß nach einer Weile die Uhrengeschichte und ging mit seinem Regiment ins Innere des Landes. Mrs. Larkyn

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